piwik no script img

Der Traum vom Strandbad

■ Wer sich im Winter ins "Strandbad" verläuft, muß nicht unbedingt verrückt sein. Ganz im Gegenteil: Er ist am richtigen Ort für einen Winterausflug in den Sommer

Neulich am Telefon: „Laß uns heute abend ins ,Strandbad‘ gehen.“ „Bist du verrückt, ins Strandbad? Draußen ist es schweinekalt, und du willst ausgerechnet ins ,Strandbad‘?“ „Na und? Da kommt man wenigstens auf warme Gedanken.“

Das „Strandbad“ ist eine Kneipe in Mitte, Kleine Hamburger Straße, urgemütlich, mollig warm, der „Bardolino“ schmeckt lecker. Wenn man ganz hinten am großen, runden Tisch sitzt, läßt sich prima philosophieren über den lieben Gott und die schlechte Welt und, wie neulich, über den nächsten Urlaub. Spätestens nach drei „Bardolino“ liegt man am Strand in Italien oder sonst irgendwo, jedenfalls da, wo es warm ist.

„Das Wetter“, weiß Hans-Michael Krämer von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, „hat einen großen Einfluß auf die Urlaubsgefühle.“ Sei der Januar streng und kalt, steige die Lust auf Sonnne, Strand und Meer. Nach einem schlechten Reisejahr 1996 boome die Branche wieder. Das zeige der gegenwärtige Run auf die Reisebüros. Marc-Jürgen Sebode von Unger-Flugreisen kann den Trend nur bestätigen: „Der Andrang bei uns ist in den letzten Tagen besonders groß.“ Liegt's nur am Wetter?

Weg ins Warme – die BerlinerInnen haben die Lust am Reisen nicht verloren. Familien planen – wie eh und je – ihre große Sommerreise schon im Januar; jüngere Leute setzen auf Last-minute oder auf Kurztrips. Der Durchschnittsossi gibt pro Jahr 1.100 Mark fürs Reisen aus, der Durchschnittswessi 1.600 Mark. „Zwar ist das nicht mehr so viel wie früher“, resümiert Harald Schmidt, Leiter des Instituts für empirische Forschung, „aber es ist immer noch viel, wenn man die wirtschaftliche Lage vieler Leute in Betracht zieht.“ Eine Veränderung hinsichtlich des Buchungsverhaltens hat Schmidt ausgemacht. „Das Buchen im Kopf findet nach wie vor in den Monaten Dezember, Januar und Februar statt, aber im Reisebüro wird immer später gebucht.“ Was nicht zwangsläufig Last-minute bedeute, sondern: „Die Leute entscheiden sich erst vier, fünf Wochen vor dem eigentlichen Reisetermin“ – und würden oftmals einen Reinfall erleben. Denn das Flugticket sei nicht wesentlich preiswerter, das Hotel habe dann doch nicht den gewünschten Standard, und der Strand sei überlaufen.

Überhaupt könne der kurzfristig geplante Urlaub die reinste Enttäuschung werden. „Last-minute ist nicht gleichbedeutend mit billiger Reisen“, weiß auch Christine Rölke, Regionalleiterin Reisen bei Karstadt. Last-minute sei eigentlich nur was „für ein junges Publikum, das bereit ist, beim Standard gewisse Abstriche in Kauf zu nehmen“.

Mit Schnäppchenangeboten versuchen Reiseveranstalter schon jetzt, Kunden zu locken. Billigangebote für den, der frühzeitig bucht. „Die Reiseveranstalter sollten nicht die Nerven verlieren. Das Geschäft hat sich einfach ein wenig nach hinten verlagert“, zieht Peter- Otto Gelling, TUI-Verkaufsleiter, Bilanz. Nach dem schlechten Reisejahr 1996 erwartet Gelling 1997 wieder ein leichtes Plus.

Ein spezielles Programm für junge Leute („Young and Sports“, Neckermann-Reisen) bietet Karstadt erstmals in dieser Saison an. „Es richtet sich an ein junges, sportliches Publikum, das Beach- Volleyball und Tennis spielen will, das surfen oder Mountainbike fahren will.“ Ein entscheidender Vorteil von „Young and Sports“ sei, so Christine Rölke, „das Ganze ist bezahlbar, also nicht teurer als vergleichbare Clubreisen“.

Neulich im „Strandbad“: Viel „Bardolino“ getrunken und viel geträumt vom nächsten Urlaub. Irgendwann aufgebrochen, nicht ganz nüchtern, aber ernüchtert feststellen müssen: Es ist schweinekalt in Berlin, und gedacht: „Ach, wie schön wär's jetzt in einem richtigen ,Strandbad‘.“ Jens Rübsam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen