: „Es überwiegt die Resignation“
■ RückkehrerInnen kämpfen in den bosnischen Gebieten noch immer ums Überleben
Von einem siebentägigen Bosnienbesuch kehrte Andrea Frohmader, Mitarbeiterin der Bremer Bosnien-Hilfsorganisation „Brücke der Hoffnung“, jetzt zurück. Sie war im Auftrag der Grünen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck in die Region Tuzla gereist, um auch den gegenwärtigen Bedarf an Hilfe – von der Kleidersendung bis zum Wiederaufbau von Schulen – festzustellen. Vor dem Hintergrund des nahen Ausreisetermins für bosnische Flüchtlinge sprach die taz mit Andrea Frohmader über die aktuelle Situation in Bosnien.
taz:Viele bosnische Flüchtlinge in Bremen beklagen, daß sie Ausreiseverfügungen für den 31. März bekommen haben – obwohl sie nicht in ihre Heimatorte zurückkehren können.
Andrea Fromader: Soweit ich das sehe, wird darauf seitens der deutschen Behörden keine Rücksicht genommen. Es ist zwar eine Forderung vom Flüchtlingsrat der vereinten Nationen, daß dies gewährleistet sein müßte. Wir sind aber realistisch genug zu wissen, daß gerade diese Gruppe von Muslimen wohl nie zurückkehren kann. Die Hälfte Bosniens wurde zur serbischen Republik Srpska deklariert. Dazu gehört beispielsweise auch Prijedor, woher viele Bremer Flüchtlinge stammen, die jetzt in andere Gebiete gebracht werden sollen. Diese Flüchtlinge müßten im Grunde genommen geschützt werden.
Viele Flüchtlinge fürchten sich, schutzlos ausgeliefert zu werden...
Da ist was dran. Ich weiß definitiv von Übergriffen. Im Herbst beispielsweise wurden Busse mit Frauen, die die Gräber ihrer Angehörigen besuchen wollten, mit Steinen beworfen. Die Busse wurden zum Umkehren gezwungen. Ich kenne auch mehrere Fälle, wo in die Republik Srpska zurückkehrende bosnische Flüchtlinge von der Polizeikommandantur einfach des Ortes verwiesen wurden. Die haben sich dann an die SFOR-Gruppen gewendet, die dafür aber gar nicht zuständig sind.
Was machen diese Menschen denn dann?
Im Grunde genommen gibt es für sie niemanden. Ich weiß konkret von rund 1.000 Personen, die monatlich aus Deutschland in die Region Tuzla zurückkehren. Die Gemeinden haben aber kein Geld, um sie sozial zu unterstützen. Das heißt, viele werden in Flüchtlingslagern aufgefangen, lassen sich registrieren und bekommen dann ein Minimum an humanitärer Hilfe – aber beispielsweise nicht die finanzielle Hilfe von 60 Mark, die jeder Rentner monatlich kriegt. Ich weiß auch von Flüchtlingsheimen, die so überlaufen sind, daß das Obdach kaum gesichert ist. In der Region um Tuzla beispielsweise leben hunderttausend Flüchtlinge. Es ist ungeheuer schwer, da noch jemanden unterzubringen.
Viele Rückkehrer fürchten sich vor mangelnder ärztlicher Versorgung.
Das ist ein Problem, das ich aus eigener Anschauung kenne. Die Brücke der Hoffnung unterstützt deshalb auch Ambulanzen. Aber ich habe doch den Eindruck, daß sich im medizinischen Bereich einiges verbessert hat.
Welche Unterstützung brauchen RückkehrerInnen jetzt?
Es herrscht eine Arbeitslosigkeit von über 85 Prozent. Ich habe selber mit jungen Rückkehrern aus Deutschland gesprochen, die mir gesagt haben, daß sie aufgrund ihrer Flucht nach Deutschland jetzt keine Arbeit bekommen. Was im Moment gebraucht wird, sind Ärzte und Lehrer. In den Bereichen Bauen, Industrie und Technik fehlt es nicht an Leuten, sondern an der Infrastrktur, die Voraussetzung dafür ist, die Arbeitskraft der Menschen zu nutzen.
Nachdem wir gehört haben, daß nur ausländische Nicht-Regierungs-Organisationen an EU-Gelder kommen, versuchen wir das jetzt. Die Kommunen kommen kaum an diese Gelder. Wir werden also versuchen, zwei Schulen in Tuzla über EU-Gelder zu finanzieren. Natürlich werden dafür bosnische Firmen beauftragt.
Um ein Land wieder aufzubauen, ist Kraft und Motivation nötig. Gibt es die?
In Deutschland wird die Situation nach 1945 oft mit der in Bosnien verglichen. Dann wird gesagt, wir haben auch die Ärmel aufgekrempelt und wieder aufgebaut... Die Situation im ehemaligen Jugoslawien ist aber ganz anders. Die Leute haben nicht das Gefühl, daß es ein stabiler Friede ist. Außerdem ist nichts mehr wie vor dem Krieg. In Bosnien wissen die Flüchtlinge, die jetzt zurückkehren, daß sie eine schwere Belastung für diejenigen darstellen, die den Krieg dort ausgehalten haben. Dann müssen sie sich damit auseinandersetzen, erneut Flüchtling zu sein und neu anzufangen. Außerdem wissen sie 100prozentig, daß sie keine Arbeit bekommen werden. Da ist die Gesamtmotivation sehr reduziert. Ich kenne andererseits viele Bosnier, die sagen, sie haben in Deutschland keine Chance – und schon deshalb zurückwollen.
Gibt es sowas wie einen politischen Willen zum Neuanfang?
Im Moment überwiegt die Resignation. Ich finde nur die totale Resignation vor. Das hängt damit zusammen, daß sich eigentlich alle betrogen vorkommen. Die Bosniaken fühlen sich betrogen, weil die Hälfte ihres Landes jetzt den Serben gehört. Die Serben fühlen sich betrogen, weil es ihnen eigentlich noch viel viel schlechter geht, als den Bosniaken. Sie sind so hundearm – da kann man beispielsweise auch die medizinische Versorgung ganz vergessen. Wohin man schaut, hat niemand das Gefühl, überhaupt dahin zu kommen, wo er gewollt wird. Jetzt zeigt sich, wie verheerend es ist, daß die internationale Staatengemeinschaft und die bosnisch-kroatisch-serbischen Unterzeichner von Dayton die dort gegebenen Versprechen nicht einlösen. Das ist vor allem das Recht auf die Rückkehr in die Heimatorte.
Fragen: Eva Rhode
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