Weitere Botschaftsgeisel in Lima freigelassen

■ Nach neuen Scheinangriffen der Polizei und der Verlegung von MRTA-Gefangenen ist keine Lösung in Sicht. 72 Geiseln hoffen auf Freilassung

Lima/Berlin (AP/AFP/taz) – Trotz einer spürbaren Verhärtung im Geiseldrama von Lima haben die Besetzer der japanischen Botschafterresidenz gestern einen peruanischen Polizeichef freigelassen. Die Guerilleros der Bewegung Tupac Amaru (MRTA) folgten damit einer Bitte des Schweizer Rotkreuzdelegierten Michel Minnig und des Erzbischofs Juan Luis Cipriani, General José Rivas Rodriguez mit Rücksicht auf seine schlechte Gesundheit gehenzulassen. Der zweithöchste Polizeioffizier in Peru wurde sofort in ein Krankenhaus gebracht. Damit verbleiben noch 72 Geiseln in der Gewalt des MRTA-Kommandos. Eine friedlichen Lösung des Konflikts war jedoch am Wochenende nicht in Sicht. Die Sicherheitskräfte setzten ihre Serie von Scheinangriffen fort. Als Reaktion feuerten die Besetzer auch am Samstag Schüsse ab, wobei niemand verletzt wurde.

Aus Protest gegen das Vordringen der Polizei in die unmittelbare Nähe des Gebäudes setzte das Rote Kreuz am Freitag vorübergehend die Lebensmittellieferungen aus, nahm sie am Samstag aber wieder auf. Der von der Regierung ernannte Unterhändler, Bildungsminister Domingo Palermo, sagte, die Aktionen der Polizei seien friedlicher Natur und dienten der Vorbereitung auf einen Auszug der Rebellen zu Verhandlungen.

Ob die Behörden mit ihrer Zermürbungstaktik die Guerilla allerdings bewegen können, Verhandlungen aufzunehmen, ist unwahrscheinlich. Die Signale, die in den letzten Tagen von der Regierung kamen, erzeugen eher den Eindruck, daß ihr an der Aufnahme der Verhandlungen wenig gelegen ist – es sei denn, die MRTA würde auf ihrer Kernforderung, der Freilassung von 453 MRTA-Gefangenen, verzichten. Zwar haben sich beide Seiten grundsätzlich zu Verhandlungen bereit erklärt, doch bisher wurde weder die Garanten- Kommission zusammengestellt, die die Verhandlungen leiten soll, noch ein Termin für die Aufnahme direkter Verhandlungen vereinbart. Zudem ist vollkommen unklar, worüber denn verhandelt werden kann, denn selbst Minimalforderungen, wie die Verbesserung der Haftbedingungen der Gefangenen, scheint die Regierung des peruanischen Präsidenten Fujimori nicht zustimmen zu wollen. Nach Informationen der Tageszeitung El Comercio sollen mehrere hochrangige Guerillamitglieder aus „disziplinarischen Gründen“ in das abgelegene Hochsicherheitsgefängnis Challapalca gebracht werden. Die Entscheidung ist eher eine weitere Provokation der Regierung an die Adresse der Guerilla als ein Angebot, Verhandlungen aufzunehmen. Kuh

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