: Wissenschaftszentrum der Zukunft
Treptow soll Berlins Wissenschaftsstandort für das nächste Jahrhundert werden. Die Humboldt-Universität plant den Umzug der Naturwissenschaften nach Adlershof. Noch liegt das Entwicklungsgebiet in weiten Teilen brach ■ Von Markus Franzen
Der Regierende Bürgermeister selbst hat die Latte hoch gehängt: Der „größte zusammenhängende Technologiepark Europas“ soll in Berlin-Adlershof gebaut werden. 10.000 Arbeitsplätze sollen bis 2003 entstehen und 1,7 Milliarden Mark an Investitionen – allein aus der öffentlichen Hand – fließen. Eberhard Diepgen (CDU) hat damit einem Projekt oberste Priorität eingeräumt, das Wissenschaftler an den Universitäten mit Produktentwicklern der Unternehmen zusammenbringen soll – und das Berlin zu einem der herausragenden Technologiestandorte Europas machen soll: Jetzt scheint es, als würde Berlin die angestrebte Höhe reißen.
Berlin Adlershof: 15 Fußminuten vom S-Bahnhof Adlershof entfernt betritt man in Treptow historisches Gelände. Hier fanden 1909 auf dem Flugplatz Berlin-Johannisthal die ersten Flugschauen statt, hier entstanden die ersten deutschen Luftfahrtunternehmen. Während des Nationalsozialismus florierte die Rüstungsindustrie. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen die Russen den Flughafen, und auf dem Gelände siedelten sich ein Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit an, aber auch die Akademie der Wissenschaften und der Deutsche Fernsehfunk (DFF).
Der Untergang der DDR hinterließ über 420 Hektar unbebautes Land und alte Gebäude am Berliner Stadtrand, die möglichst zukunftsorientiert genutzt werden sollten. Seit der Wende plant der Senat darum rund um das alte Flugfeld eine ganze „Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft“.
Die Gesamtverantwortung trägt seit 1993 die „Berlin Adlershof Aufbaugesellschaft mbH“ (BAAG), eine Treuhänderin der Stadt. Sie koordiniert auf dem Gelände an der Rudower Chaussee die Entwicklung verschiedener Schwerpunkte: ein Gewerbe- und Industriegebiet, ein Medienbereich, Flächen für den Wohnungsbau, Gebäude für die Humboldt- Universität, einen Wissenschaftsstandort und Park- und Grünanlagen. In Adlershof soll ein zusammenhängendes Gebiet entstehen, in dem die verschiedenen Bereiche sich wissenschaftlich und wirtschaftlich befruchten und das gleichzeitig Wohnraum und Erholungsmöglichkeiten für seine Einwohner bietet.
Eine zentrale Position nimmt dabei der sogenannte „Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Berlin-Adlershof“, kurz: Wista, ein. Auf diesem 78 Hektar großen Areal haben sich inzwischen 14 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen angesiedelt, darunter so klangvolle Namen wie die Deutsche Forschungsgesellschaft für Luft- und Raumfahrt und zwei Max-Planck-Institute. Das wissenschaftliche Vorzeigestück ist aber eindeutig Bessy II, ein großer Rundbau, in dem die Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft eine sogenannte Synchrotronstrahlungsquelle zur Materieforschung betreibt, die weltweit einmalig ist.
Auf dem Gelände des Wista, dessen Entwicklung die Wista-Management GmbH unter dem Vorsitz des Kettensägenfabrikanten und Chefs des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans-Peter Stihl, steuert, haben sich zu subventionierten und damit bezahlbaren Mieten bereits über 200 kleine Unternehmen aus der Umwelt- und Energiebranche, Elektronikspezialisten und Softwaretechniker angesiedelt.
1996 war für den Wista das Jahr der Grundsteinlegung: Mit dem ersten Spatenstich am Photonik-, Umwelttechnologie- und dem Informatikzentrum (Kosten zusammen über 350 Millionen Mark) sowie dem Business-Center (privat finanziert) haben die Arbeiten an den wichtigsten Großprojekten auf dem Wista-Gelände begonnen. Drei weitere Gebäude konnten 1996 Richtfest feiern.
Das eigentlich neue an Adlershof soll die Verbindung aus Marktwirtschaft und Forschung sein: Da „kann man mal um die Ecke zu den Kollegen gehen“ und zusammen rasch eine Lösung für technische Probleme finden, beschreibt ein Unternehmer die Grundidee. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß die „Kollegen“ von der Humboldt- Universität genügend Geld bekommen, um ihre Neubauten für die Naturwissenschaften in Adlershof zu realisieren: Auf 15 Hektar, eng verzahnt mit den Forschungsinstituten und privaten Unternehmen des Wista, sollten ab diesem Jahr die Bauarbeiten für acht Institute und die Zentralwerkstätten, Verwaltung und das Rechenzentrum beginnen. Gesamtkosten: 712 Millionen Mark. Wenn die Institute – von der Chemie bis zur Informatik – nicht wie geplant bis 2004 nach Adlershof umgezogen sind, vermindert das die Attraktivität des Standortes nicht nur wegen des fehlenden Austauschs. Auch bleibt das Zentrum von Adlershof dann auf unabsehbare Zeit Baustelle.
Neben Forschung und Entwicklung möchte der Senat in Adlershof auch die Medienindustrie ansiedeln: Auf 30 Hektar, auf denen einmal der DFF produzierte, sollen in den nächsten Jahren noch einmal 200 Millionen Mark in Gebäude investiert werden. In der künftigen MediaCity wird heute bereits das Sat.1-Glücksrad produziert, und n-tv geht von hier auf Sendung. Auch andere Medien- Unternehmen haben sich in MediaCity eingefunden – von der Tischlerei bis zur Firma für Spezialeffekte.
Auf den restlichen fast 300 Hektar des ehemaligen Flugplatzes ist ein Gebiet von 55 Hektar für das Gewerbe ausgewiesen und wird auch bereits genutzt, 15.000 Wohnungen in verschiedenen Preisklassen – für Studenten und Professoren – sollen noch einmal 50 Hektar einnehmen. Im Zentrum entsteht ein Park von 70 Hektar, damit die Forscher, Unternehmensgründer, Medienleute und andere Innovative auch mal Auslauf haben. Den Rest der Fläche verbrauchen Straßen und nicht zuletzt die geplante Straßenbahn.
Auf Kritik stößt die „bedeutendste Entwicklungsmaßnahme nach dem Regierungsumzug“ (Eigenwerbung) kaum. Lediglich die Technische Universität Berlin, selbst von Sparmaßnahmen getroffen, glaubt nicht an eine Verbesserung von Forschung und Lehre durch den teuren Umzug der Humboldt-Uni: Der Senat investiere in „Beton statt in Köpfe“ und betreibe eine „massive Ressourcenverschwendung“.
Von der neuen Stadt – so dagegen die Hochglanzprospekte und Zeitschriften der staatlichen Werber – sollen im „21. Jahrhundert einmal entscheidende Impulse für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft“ ausgehen. Wenn sich der Umzug der Humboldt-Universität verzögert, wird das 21. Jahrhundert in Berlin etwas später beginnen.
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