: Grobgezackte Hungerkünstler
■ „Gibs auf!“: Der New Yorker Comic-Künstler Peter Kuper zeichnet Kafkas Kurzgeschichten
„Kafka als Comic“ klingt ein wenig wie „Nolde vom Supermarkt“. Leider. Denn Peter Kuper beweist, daß das „Micky-Maus-Medium“ durchaus angemessen mit Literatur umzugehen vermag.
Nicht knallig-bunt, sondern schwarzweiß zeichnet Kuper den von ihm verehrten Kafka in dem Hardcoverband Gibs auf! im DIN A5-Format. Zur Illustration des literarischen Expressionisten lehnte Kuper seinen Zeichenstil an die bildende Kunst dieser Epoche an. Der Holzschnitt der 20er Jahre war Vorbild für Kupers Figuren. Jeder Protagonist hat ein eigenes Gesicht, eine unverwechselbare Silhouette. Mit überwiegend groben Linien, brüchigen Umrissen und gezackten Körperteilen sind sie alle vom meist tragischen Schicksal gezeichnet.
Wenn sie nicht auf einen Wesenszug reduziert werden wie die starrenden Gaffer in „Ein Brudermord“, deren Köpfe nur noch einzelne große Augäpfel darstellen. In der Titelgeschichte „Gibs auf!“ erinnert der ins Labyrinth geratene Mann ausnahmsweise an die vermenschlichten Mäuse des Comic-Zeichners Art Spiegelmanns.
Kupers Illustrationen gelingen nicht zuletzt, weil der New Yorker Comic-Künstler sich um ein mögliches Fettnäpfchen im voraus herumzeichnet: Anstatt sich an die Adaption großer Romane des Prager Expressionisten zu wagen, hat er sich auf die literarischen Kurzform gestürzt. In Kafkas Nachlaß befanden sich zahlreiche Aphorismen, die erst sehr spät veröffentlicht wurden. „Die Brücke“, „Gibs auf“, „Der Steuermann“, „Der Kreisel“, „Der Geier“ - allesamt kaum länger als eine halbe Taschenbuchseite. Ihren Erzähltext läßt Kuper neben wenigen Sprechbläschen direkt in die Bilder einfließen. Hier werden gerademal Halbsätze gekürzt, niemals zusammengefaßt oder umformuliert.
Nur bei der Erzählung „Ein Hungerkünstler“ setzt Kuper den Rotstift an, streicht ganze Absätze und bündelte das Kafka-Werk auf zehn Comicseiten. Das schmerzt dann doch ein wenig.
Was Kafka im Prag zu Beginn des Jahrhunderts schrieb, überträgt Kuper ins New York der 90er Jahre. So werden „Die Bäume“ (“Denn wir sind wie Baumstämme im Schnee“) zu erfrorenen Pennern vor einer Hochhauskulisse. Ein mutiges Unterfangen.
Klaus Rathje
„Gibs auf!“, Carlsen Verlag, Hamburg, 1997, 64 Seiten, 32 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen