: Potsdamer Abkommen
Plötzliche Entscheidungsfreude, ein großes Tabu und der Mittelweg: Intendantenwechsel am Potsdamer Hans Otto Theater, Oberbürgermeister Gramlich versucht den Befreiungsschlag ■ Von Nikolaus Merck
Das ging aber schnell. Kurze zehn Tage nach dem Abgang von Stephan Märki kürte die sonst so entscheidungsunfrohe Potsdamer Politik bereits den neuen Intendanten des Hans Otto Theaters (HOT). Der heißt Ralf-Günter Krolkiewicz.
Was wundernimmt, denn noch im Herbst war der bisherige Schauspiel-Oberspielleiter für seine unterkühlte Antrittsinszenierung von Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ nicht nur in der lokalen Presse rüde attackiert worden. Krolkiewicz amtiert zunächst kommissarisch, mit von der Stadt eingeräumter Option auf dauerhafte Beschäftigung bei gegenseitigem Gefallen.
Krolkiewicz hatte 1979 am HOT als Schauspieleleve begonnen. Wegen unfreundlicher Gedichte 1984 von der Stasi verhaftet, kam er nach seiner Freilassung 1985 in den Westen, wo er unter anderem an Märkis Team-Theater in München arbeitete. Nach Engagements als Schauspieler und Regisseur in München und Esslingen und einem Zwischenspiel als Schauspieldirektor in Augsburg holte ihn Stephan Märki im April 1996 als Oberspielleiter zurück nach Potsdam.
Mit der Berufung des 41jährigen versucht Oberbürgermeister Gramlich einen Befreiungsschlag. Ursprünglich sollten Märki und sein Ökonom René Serge Mund, die ihre Verträge zum Spielzeitende gekündigt hatten, noch bis zum Sommer amtieren. So jedenfalls wünschte es das Kuratorium (Aufsichtsrat) des Hans Otto Theaters. Erst in der vergangenen Woche hatte das Gremium den Vorstoß der Stadt abgeschmettert, sich stante pede von Märki und Mund zu trennen.
In schwärzeste Ungnade bei den Stadtoberen waren Märki und Mund durch ihren Vorschlag gefallen, die erst 1993 aus dem HOT ausgegliederte Brandenburgische Philharmonie wieder in den Theaterverband zurückzuholen, um so die Sparauflagen der Stadt zu erfüllen und beiden Institutionen langfristig das finanzielle Überleben zu sichern.
Damit jedoch rührten sie an das große Tabu der Potsdamer Kulturpolitik. Der gilt nämlich die Selbständigkeit der Philharmonie als unantastbar. Weil das Orchester seitdem eine höhere Qualität erreicht habe. Und mehr Zuschauer. Und billiger seien zwei selbständige Gesellschaften (Theater und Orchester) obendrein.
Davon läßt sich zwar nichts durch Zahlen belegen, wie die Theaterintendanten zeigten, allein das tut nichts. Nicht in Potsdam. Wo das 77köpfige Orchester als funkelndes Kulturjuwel gilt. Dafür sorgen Violinisten, Flötisten und Harfenisten per Dauerbelagerung der Kommunalpolitiker. Besteht doch der Vorteil der komfortablen Dienstzeitenregelung für deutsche Orchester (nicht mehr als wöchentlich 20 Stunden „Dienst“ für jeden Musiker) unter anderem darin, daß den Musikern ein erkleckliches Maß freier Zeit für Interessenpolitik übrigbleibt.
Nicht von ungefähr endete so der Versuch von Stephan Märki und René Serge Mund, die verfehlte Potsdamer Kulturpolitik in letzter Stunde zu korrigieren mit ihrer öffentlichen Abstrafung durch den Oberbürgermeister. Worauf sie ihre Demission einreichten. Der jetzt die Einigung über die Höhe der Abfindung und die vorzeitige Trennung folgte.
An der unnachgiebigen Haltung von Märki und Mund gegenüber der Stadt wird Ralf-Günter Krolkiewicz nicht festhalten. Während die gewesenen Intendanten in der erneuten Fusion von Theater und Orchester die einzige Möglichkeit sahen, das Musiktheater, dessen Abwicklung ihnen die Stadt nahegelegt hatte, zu retten, hofft Krolkiewicz der Wahl zwischen Pest und Cholera entgehen zu können.
„Meine Aufgabe ist, ein Alternativkonzept ohne Fusion zu entwickeln.“ Sein ebenfalls neuer Verwaltungschef Volkmar Raback assistiert: „Das Musiktheater wollen wir erhalten, aber strukturell verändern. Die Beschäftigtenzahl wird nach unten gefahren.“
Aber mindestens genauso dringlich wie Geld- und Strukturfragen ist für Krolkiewicz eine neue inhaltliche Linie. Die heißt: Das Haus ist leer, es muß wieder voll werden. Kein Verzicht auf anspruchsvolle Stücke zwar, gleichwohl mehr populäre Angebote an das „spröde“ Potsdamer Publikum. Krolkiewicz vertraut dabei auf sein „überdurchschnittlich gutes“ Ensemble, das es unbedingt zusammenzuhalten gelte.
Alles wird jetzt jedoch darauf ankommen, ob es ihm gelingt, das „gegenseitige Schlachten von Philharmonie und Theater“ zu beenden und die Potsdamer Stadt- und Landespolitiker wieder an einen Tisch zu holen. Beides steht ganz oben auf Krolkiewicz' Agenda. Verständlicherweise. Denn ohne das Land, das 60 Prozent der Zuschüsse für das Hans Otto Theater bezahlt, geht in Potsdam gar nichts. Doch das Kulturministerium pflegt eine vornehme Zurückhaltung. So legte es dem Vernehmen nach Märki den Fusionsvorschlag zwar nahe, ließ ihn jedoch im Regen stehen, als er von der Stadt dafür Prügel bezog.
Märki selbst bleibt, gewiß zur Freude der Potsdamer Politiker, dem Theater erhalten. Wie geplant als Regisseur, aber auch als Ratgeber des neuen Intendanten, der sich in Kontinuität zu seinem Vorgänger sieht: „Es gibt keinen Riß zwischen uns. Die positiven Ansätze im Haus haben wir, Stephan Märki und die ganze Leitung, ja in den letzten Monaten gemeinsam erarbeitet. Meine Aufgabe ist es, das weiterzuführen.“
Über die Schwierigkeit der Aufgabe macht sich der Mann keine Illusionen. Aber, was soll man machen? Aufgeben? Nie und nimmer. Also gibt Ralf-Günter Krolkiewicz eine Parole aus, die verpflichtet: „In drei Jahren interessant oder tot.“
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