: Verbrecher mit niedrig-fliehender Stirn
Studenten protestieren erneut gegen umstrittenen Prof für Humanbiologie ■ Von Jörg Walser
Protestaktion gestern mittag in der Universitätsmensa: Sieben Studenten führen einen „Feldversuch des Rassenbiologischen Instituts“ durch. Ausgerüstet mit Zentimetermaß, Winkelmesser und Speichelstäbchen vermessen sie die vorbeikommenden Studenten, um deren „individuellen Devianzquotienten“ herauszufinden. Der Quotient ist zwar bloß ein Phantasieprodukt, dahinter steckt jedoch der reale Protest gegen das Institut für Humanbiologie.
Organisiert hat ihn das Schwulenreferat des Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (AStA). „Wir wollen auf die schwulenfeindliche Forschung am Institut aufmerksam machen“, sagt Jakob Michelsen, Geschichtsstudent und Mitglied der studentischen „Arbeitsgemeinschaft gegen ,Rassenkunde'“. Sein Vorwurf: Der Geschäftsführende Direktor des Instituts, Rainer Knußmann, diskriminiere in seinem Lehrbuch „Vergleichende Biologie des Menschen“ Schwule, indem er Homosexualität als abweichendes (“deviantes“) Sexualverhalten bezeichne, das zu „Sittenverfall“ und „Bevölkerungsschwund“ beigetragen habe.
Der Protest gegen das Institut und seinen Direktor ist nicht neu. Bereits seit längerer Zeit wird ihnen vorgeworfen, in Vorlesungen zur „Rassenkunde“ rassistische Inhalte zu lehren. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen Knußmann. Der verbreitet in seinem Lehrbuch die Vorstellung des „genetisch vorbelasteten Kriminellen“: So hätten Verbrecher beispielsweise „überdurchschnittlich häufig eine niedrige, fliehende Stirn“. Die jahrhundertelange Judenverfolgung bilanziert er als „Selektion auf optimale Leistung“.
Inzwischen hat sich Wissenschaftssenator Leonhard Hajen eingeschaltet und mehrere Wissenschaftler um eine Einschätzung des Knußmann-Lehrbuchs gebeten. Sein Wunsch: Die Universität möge „die Sache wissenschaftlich diskutieren und zur Klärung zu kommen.“ Bisher war die Universitätsleitung den Vorwürfen mit dem Hinweis auf die Freiheit der Lehre entgegengetreten. Inzwischen kommt jedoch harte Kritik aus den eigenen Reihen. Der Kriminologie-Professor Fritz Sack, einer der von Hajen beauftragten Wissenschaftler, schrieb dem Senator: „Eine Universitätsleitung, die sich in einem solchen Konflikt nach dem Prinzip verhält, das Nest sauber zu halten, macht sich zu einem ungewollten Komplizen der Bereitung eines Bodens, aus dem auch der Rassismus sprießt.“ Sack hat den kriminologischen Teil des Knußmann-Buches untersucht und kommt zu dem Ergebnis: „Irreführend, wissenschaftlich unvertretbar und politisch verantwortungslos“.
Nun bereitet der Akademische Senat zusammen mit dem Fachbereich Biologie eine wissenschaftliche Diskussionsveranstaltung über den Begriff „Rasse“ vor. Intensiver will sich die Medizin-Soziologin Heidrun Kaupen-Haas mit dem Thema beschäftigen: Sie plant eine breite Auseinandersetzung per Ringvorlesung.
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