: CSU blieb unversöhnlich
Bundestag verabschiedete gestern die deutsch-tschechische Erklärung mehrheitlich ■ Aus Bonn Bettina Gaus
Bonn (taz) – „Ich möchte mich auch bei Ihnen bedanken, Herr Bundeskanzler, und zwar weil Sie Wort gehalten haben.“ Das Lob kam unerwartet. Die bündnisgrüne Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer, sprach es in ihrer Rede zur deutsch-tschechischen Aussöhnungserklärung aus. Kohl reagierte auf die versöhnliche Geste über Parteigrenzen hinweg verunsichert und sogar leicht gerührt. Ein zaghaft-höfliches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Fast erwartete man ein herzliches „Gern geschehen“.
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber traf es als nächsten. „Ich weiß, daß es schwierig ist“, zeigte sich Antje Vollmer im Blick auf den Widerstand der Sudetendeutschen verständnisvoll, während der Angesprochene unruhig auf seinem Sessel hin und her rutschte. Sie freue sich, daß auch er „dabei“ sei.
Antje Vollmer dankte keiner. Dabei hatte sie sich ganz besonders darum bemüht, daß die in beiden Staaten umstrittene Deklaration zustande kam. Gestern stimmte der Bundestag mit überwältigender Mehrheit ihr zu. Lediglich 20 Abgeordnete, die meisten aus den Reihen der CSU, votierten gegen den Text, der am 21. Januar in Prag unterzeichnet worden war.
Trotz der breiten Zustimmung kam es allerdings gestern im Bundestag zu keinen weiteren überraschenden Herzlichkeiten wie die von Antje Vollmer. Diese wurde später in der Lobby von einigen Abgeordneten der Opposition als doch gar zu „staatstragend“ kritisiert.
Auch gestern entschied im Bundestag die Parteizugehörigkeit mehr als der Inhalt des Gesagten darüber, wer mit Applaus rechnen konnte. Als Gregor Gysi von der PDS sich im Namen seiner Partei „aufrichtig bei dem tschechischen und slowakischen Volk“ für die DDR-Beteiligung an der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968 entschuldigte, rührte sich bei der Unionsfraktion keine Hand zum Beifall.
In der Debatte wurde ein weiteres Mal deutlich, wie groß die Unterschiede in der historischen Bewertung zwischen den Parteien sind und weshalb es so schwierig gewesen war, sich auf einen für alle Seiten akzeptablen Text zu einigen. Bei den CSU-Politikern spielte das Thema Vertreibung eine weit größere Rolle als die Verbrechen der NS-Zeit. Finanzminister Theo Waigel appellierte an die tschechische Seite, das Gespräch mit den Sudetendeutschen zu suchen und erklärte, die Geschichte könne nicht auf die Jahre zwischen 1938 und 1945 verengt werden: „Unrecht, das von Deutschen begangen wurde, kann Unrecht nicht rechtfertigen, das Deutschen angetan wurde.“
Gregor Gysi kritisierte dagegen, daß in der Aussöhnungsdeklaration die Worte „Massenmord“ und „Deportation“ nicht vorkommen und stellte die Frage: „Hätte es nicht heißen müssen: Deutschland trägt die Hauptverantwortung?“
Die Sozialdemokraten sind mit ihrem Versuch gescheitert, die Deklaration mit einer interpretierenden Eingangserklärung zu versehen. Darin hätte der Bundestag bekräftigen sollen, daß beide Seiten im Zusammenhang mit den umstrittenen Eigentumsansprüchen der Vertriebenen „die jeweils andere Rechtsauffassung respektieren“.
„Dem juristisch korrekten Hinweis, daß die Vermögensfragen offenbleiben, hätte der Hinweis folgen müssen, daß es die vorliegende Erklärung der Regierung politisch jedenfalls nicht erlaubt, solche Ansprüche auch tatsächlich zu stellen“, erklärte dazu Günter Verheugen (SPD). Demgegenüber vertrat Bayerns Ministerpräsident Stoiber erneut die Meinung, es sei von entscheidender Bedeutung, daß die Erklärung keinen Verzicht auf die Vermögensansprüche der Sudetendeutschen darstelle.
Völlig still war es im Bundestag, als Bundeskanzler Helmut Kohl vor vollen Bänken seine Regierungserklärung zum Thema abgab. „Unsere Kinder und Enkel sollen hineinwachsen in eine Welt, in der nie wieder Menschen unter fremder Besatzung zu leiden haben, eine Welt, in der nie wieder Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden“, sagte der Regierungschef.
Dafür erhielt er Applaus von Abgeordneten aller Parteien.
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