piwik no script img

Mutter im Kind-Kind-Kontakt

Nach sechs Monaten Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz: Wohin bloß mit dem Kind? In die Krippe, zur Tagesmutter oder lieber doch im Buggy durchs Einkaufszentrum schieben?  ■ Von Kaija Kutter

Die Anfrage eines Kinderladens hat mich jüngst in Verlegenheit gebracht. Sie hätten einen Platz für mein Kind. Ob es nächste Woche kommen könnte? Peinlich. Ich suche gar keinen Platz. Vor einem Jahr, da habe ich gesucht. Als Theo vier Monate jung war, habe ich ihn im Tragekörbchen untern Arm geklemmt und diverse Läden abgeklappert. Sich in Listen eintragen lassen, möglichst gleich nach der Geburt, immer wieder vorbeischauen, am besten einen kleinen Steckbrief mit Lichtbild des Kindes hinterlassen, das soll wichtig sein, hatte man mir erzählt. Und bloß nicht abschrecken lassen, auch wenn im Flur eine pöbelnde Erzieherin pädagogisiert oder die Heimleiterin streng die Regeln des Hauses erklärt. „Grenzen setzen“ ist der pädagogische Hit der 90er.

Der Besuch beim Amt für Soziale Dienste war schon etwas beruhigender. „Das klappt“, sagte die Sachbearbeiterin, als ich mein Begehr vortrug. Einen Platz in einer staatlichen Krippe mit 13 anderen Kindern in einer Gruppe konnte mein Sohn also haben. Allerdings gab mir die Dame auch noch eine Liste der privaten Träger mit, „falls es doch nicht klappt“. Und den Rat, es lieber mit einer Tagesmutter zu versuchen: „Direkt schaden tut die Krippe ihm nicht. Aber eine Tagesmutter ist doch besser.“

Der Keim des Zweifels war gesät. „Völliger Unsinn“, konterte eine mir privat bekannte Pädagogin. „Tagesmütter sind unprofessionell.“ Und selbst wenn sie sich bemühten, müßten sie immer ihr eigenes Kind vorziehen, „weil das ganz natürlich ist“. Meine Friseuse, die ihr Kind in einer Krippe hat, teilte diese Ansicht: „Bei uns in der Siedlung gibt es eine Tagesmutter, die gibt den Kindern immer nur Ravioli zu essen, setzt sie vor den Fernseher und spielt nie mit ihnen.“ Also doch in die Krippe.

Kinder unter drei Jahren seien in größeren Gruppen sozial überfordert, warnt tags darauf der Erziehungswissenschaftler Peter Struck im Abendblatt. Hätte ihn gern angerufen und gefragt, wie das belegt ist. Verkündet doch Regine Schneider in ihrem Buch „Gute Mütter arbeiten“, daß „sämtliche Studien“ über Babies und ihre Beziehung zur berufstätigen Mutter zu „positiven Ergebnissen“ kommen. Kinder fühlten sich in der Krippe wohl, liest frau dort, wohler, als wenn sie mit Muttern „isoliert zu Hause hocken“. Mütter, die ihre Kinder nur für sich behalten wollen, legten ihnen für ihre spätere Entwicklung „Steine in den Weg“. Die bereits erwähnte mir privat bekannte Pädagogin bläst ins gleiche Horn. Kinder unter drei, die zu Hause blieben, seien lethargisch, weil sie nur „im Buggy von Einkaufszentrum zu Einkaufszentrum“ geschoben würden.

Das läßt natürlich keine gute Mutter auf sich sitzen. Also auf in die Krabbelgruppen im Stadtteil, Treffen mit Nachbarkindern organisieren, am besten mit Terminkalender, damit das Kleine an jedem Tag mindestens einen Kind-Kind-Kontakt hat. Und im Einkaufszentrum muß Theo nie im Buggy bleiben. Nein, jeder Gang durch die Geschäfte wird mit dem mittlerweile laufenden Einjährigen zum rasanten Abenteuertrip.

Bloß nicht zuviel machen, warnt darauf die Sozialpädagogin im Mütterzentrum. Kinder unter drei bräuchten weniger andere Kinder als „Ruhe und Zeit“, um „Erfahrungen mit Materialien zu sammeln“. Am besten zuhause bei Mutter oder Vater.

Der anvisierte Termin für den beruflichen Wiedereinstieg rückt näher und damit die Angst, daß meinem Kind etwas Böses geschieht, wenn es bei fremden Menschen ist. Daß es von anderen Kindern gehauen oder von der Tagesmutter vernachlässigt wird. Wenn's ums eigene Kind geht, bin ich plötzlich konservativer, als ich je gedacht hätte. Entwickle eine galvanische Schutzschicht gegen pädagogische Argumente wie jenes, daß es meinem Kind nur nütze, wenn es im Kindergarten „früh lernt, mit Frust umzugehen“.

Die Natur löst für mich vorerst das Dilemma. Theo II kündigt sich an. Seltsamerweise treffe ich im Stadtteil fast nur auf Mütter, die ähnliche Lösungsstrategien erwägen. Fast alle suchen eine größere Wohnung oder vielleicht ein kleines Reihenhaus, weil ein zweites Baby geplant oder in Aussicht ist. Die Frauen, die sich anders entscheiden, die wieder arbeiten, weil sie wollten oder mußten, treiben sich nicht in Mutter-Kind-Gruppen herum.

Ich befinde mich also nur unter Gleichgesinnten oder Suchenden. Der Argumentekampf tobt in mir trotzdem weiter. Theo kennt die Wohnung in- und auswendig, hat fast alle Winkel erklettert und wird auch des Erprobens von Materialien (Zucker ausschütten, Kaffee umfüllen) langsam müde. Vielleicht, so denke ich manchmal, ist er ja doch bald ein klein bißchen kindergartenreif.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen