■ Buchtip
: Stille Insel

Peter Sager liebt Fische. Wo es Wasser gibt, fühlt er sich wohl, und darum kehrt er in seinem England-Reisebuch „England, mein England“ immer wieder an die Küste zurück. Nirgends in Deutschland gibt es derzeit einfühlsamere Beschreibungen der englischen Strand- und Meereskultur, diesem undefinierbaren und doch so prägenden sozialen Raum zwischen niederer Fischerei und grandiosen Aussichten. Vierzehn Reportagen, Nachdrucke aus der „Zeit“, umfaßt der schmale Band, und fast alle davon enthalten Lobgesänge auf das Wasser – sogar dann, wenn die Orte mitten im Binnenland liegen, wie Llangollen in Wales oder Grantchester in East Anglia. Llangollen, Hort des internationalen Eisteddfod-Gesangfestivals tief in den walisischen Hügeln, tritt einmal im Jahr „übers Ufer“, erfahren wir, „summt und schäumt und rauscht“. Und über Grantchester, Heimat des konservativen Skandalpolitikers und Bestsellerautors Jeffrey Archer, schreibt Sager: „Eigentlich gibt es nur einen Weg, um stilvoll von Cambridge nach Grantchester zu kommen: Punting, im Steckhahn auf dem River Granta.“ Er hat natürlich recht, wie auch sonst bei seinen szenischen Beobachtungen und landschaftlichen Einbettungen.

Stilvoll leben, als „feine Leute im Freien“, wie der Titel eines Kapitels lautet – dies ist wichtig in dem Großbritannien, das auf der im Buchdeckel abgedruckten Landkarte in Yorkshire aufhört und alles, was darüber liegt – den hohen Norden Englands und das ganze Schottland –, einfach ausläßt. Man darf die Stilfragen aber nicht zu ernst nehmen, sonst versperren sie den Blick, und den will sich Sager immer offenhalten. Man darf sie auch nicht zu sehr lieben, sonst findet man alles nur noch ganz wunderbar, und in diese Falle tappt das Buch manchmal, zum Beispiel in Jeffrey Archers Millionärsgarten oder bei den Churchills in Blenheim Palace. Aber man darf ruhig den Lesern auf Peter Sagers Spuren überlassen, ab wann sie die Verehrung für Lords und Ladies, Landhäuser und Literaten distanzlos finden. Das ist Privatsache. Und die Wahrung der Privatsphäre ist ein unverzichtbarer Teil der Annäherung an britische Zustände.

Peter Sagers Reportagen sind „Momentaufnahmen“, wie er beinahe entschuldigend am Schluß hinzufügt. Sie stammen aus den Jahren 1985 bis 1995, und einiges hat sich natürlich geändert. Aber nur ein bißchen. Manche Personen gibt es nicht mehr, andere sind in ihre Schuhe geschlüpft. Sonst ist alles auch heute noch wiederzuerkennen. Das ist vielleicht das wichtigste Kompliment, das man einem außergewöhnlichen Buch unaufdringlicher Reiseliteratur machen kann.D.J.

Peter Sager: „England, mein England. Britische Begegnungen“. Schöffling & Co., Frankfurt am Main 1996. 152 Seiten, 26 DM