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Vorspiel für das große Wahljahr

Morgen wird im südfranzösischen Vitrolles gewählt. Bei den letzten Kommunalwahlen erreichten die Rechtsextremen dort über 40 Prozent. Frankreich guckt aufs Wahljahr 1998  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Der echte Mégret hat eine Strohfrau vorgeschickt. Sie heißt Catherine, ist seine Gattin und kandidiert für das Bürgermeisteramt in der südfranzösischen Kleinstadt Vitrolles, was ihm gerichtlicherseits verboten ist. Von den Plakaten für den morgigen Urnengang lächeln beide Mégrets – Bruno im Vordergrund; Catherine ein bißchen kleiner dahinter.

Bruno Mégret ist seit langem der zweite Mann der rechtsextremen Front National, ihr Chefideologe. Das 800 Kilometer von seinem Pariser Wohnsitz entfernte Vitrolles ist sein persönliches Politiklabor. Dort erreichte er bei den Kommunalwahlen im Juni 1995 im ersten Durchgang das landesweit allerbeste Ergebnis seiner Partei: 42 Prozent. Unter dem Schock schlossen sich damals sämtliche linken Organisationen zusammen, holten die geballte Pariser Politprominenz sowie die üblichen intellektuellen Bedenkenträger gegen die extreme Rechte zu Wahlkampfauftritten nach Vitrolles und schafften im zweiten Durchgang einen hauchdünnen Sieg mit 353 Stimmen Vorsprung.

Der solcherart wiedergewählte Salonsozialist Jean-Jacques Anglade, der die 39.000-Einwohner- Stadt seit 1983 regiert, wäre mit einem Schrecken und mehreren guten Vorsätzen davongekommen, wenn sich nicht die Justiz eingeschaltet und den kompletten Urnengang annulliert hätte. Mehrere Fernsehsender hatten noch am Wahltag Sendungen mit Front-National-feindlicher Tendenz ausgestrahlt, stellte der Richter fest, und entschied auf Neuwahl. Wenig später entzog die Justiz dem rechtsextremen Spitzenkandidaten das passive Wahlrecht für ein Jahr. Begründung: Bruno Mégret hatte den gesetzlich festgelegten Kampagnenetat weit überzogen. Aber auch Bürgermeister Anglade blieb nicht verschont: Wegen des Verdachts, er habe betrügerische Rechnungen ausgestellt, leitete die Justiz ein Untersuchungsverfahren gegen ihn ein.

Wegen dieses Vorspiels sind die Vitrollais morgen im ersten und am nächsten Sonntag im zweiten Durchgang erneut an die Urnen genötigt. In der Auswahl hat sich für sie (fast) nichts geändert: Für den im Untersuchungsverfahren befindlichen Anglade fand die Sozialistische Partei angeblich nirgends einen Ersatzmann, der es mit der Front National hätte aufnehmen können. Mégret konnte der Justiz eine lange Nase zeigen, indem er seine Gattin vorschickte. Und die Konservativen schicken den selben Roger Guichard ins Rennen, der es zuletzt schon nur auf 12 Prozent gebracht hatte.

Die Zweitwahlkämpfer stürzten sich mit einer Verbissenheit ins Rennen, als entschiede sich in Vitrolles das Schicksal der französischen Nation. Die FN erfand eine „Vereinigung moslemischer Franzosen“, einen Sportverein und eine arbeitslose Frau, die für sie von den Plakatwänden Werbung treiben. Die übrigen Kandidaten klagten. Alle beschimpften sich gegenseitig der Intrige, der Lüge und der Erpressung. Und der Enthusiasmus in der Schlafstadt im Norden von Marseille sank noch tiefer als schon beim letzten Wahlkampf. Die nationalen Größen beobachteten das Treiben zwischen den rosa gestrichenen Einfamilienhäusern, den Sozialbauten, den riesigen Einkaufszentren und den Großparkplätzen von Vitrolles diesmal aus der Distanz. Zwar unterstützen alle linken Organisationen den gefährdeten PS-Kandidaten Anglade von vornherein. Doch kein einziger Spitzenpolitiker kam von Paris nach Vitrolles.

In den Pariser Hauptquartieren ist zwischenzeitlich ebenfalls der Wahlkampf ausgebrochen. Von Präsident Jacques Chirac angefangen bis hin zu den bislang außerparlamentarischen Grünen, haben sie die Vorbereitungen für die drei großen Urnengänge 1998 begonnen: Parlamentswahlen, Kantonal- und Regionalwahlen. Die Parlamentswahlen könnten dem Land einen Regierungswechsel und eine neue Kohabitation zwischen Konservativen und Sozialisten bescheren, nur geschähe das 1998 unter umgekehrten Zeichen als in den späten 80er und den frühen 90er Jahren. Dieses Mal wäre der Präsident der Konservative. Als zweite mögliche Veränderung kündigt sich ein Einzug der rechtsextremen Front National ins Parlament an.

Anders als in Vitrolles, wo Freund und Feind längst feststehen, werden in Paris noch die Karten gemischt. Bei den traditionell in Liberale und Gaullisten (UDF und RPR) gespaltenen Konservativen sind die alten Gräben wieder aufgebrochen, die auch den letzten Präsidentschaftswahlkampf markierten, als mit Chirac und Edouard Balladur zwei Konservative gegeneinander kandidierten. Die Sozialisten verhandeln seit Monaten nach allen Seiten. Aber Kommunisten und „Bürgerbewegung“ von Jean-Pierre Chevenement mobilisieren gleichzeitig – auch das ist Wahlkampf – für ein Euro-Referendum, was die Sozialisten ablehnen. Nach einem erfolgreichen Ausgang sehen hingegen die Verhandlungen mit den Grünen, „Les Verts“, aus, wo ein Grundsatzpapier in Diskussion ist, das ein Moratorium für Atomkraftwerke, einen Auftragsstopp für die Wiederaufbereitungsanlage von La Hague und einen Ausstieg aus dem Schnellen Brüter vorsieht.

Echte Vorfreude auf das kommende Jahr hat Monsieur Mégret. Sollte seine Strohfrau in Vitrolles gewinnen, kann er in Ruhe einen Zusammengang mit den drei anderen rechtsextrem regierten Städten in Frankreichs Süden organisieren und sich als Front-National-Kandidat der gesamten Region auf die Parlamentswahlen vorbereiten. Im nächsten Jahr ist Bruno Mégret wieder wählbar.

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