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Unbeschwerte Körnerjugend

■ „Zaubernase“, das Kinderbuch-Debüt der Hamburger Autorin Maiken Nielsen

Am Anfang ist die Welt konservativ. Henning, zehn Jahre alt, wird morgens von Mama geweckt, döst auf dem Klo wieder ein und will – logo – nicht in die Schule. In der Küche schwankt der Frühstückstisch unter Müslimengen und Toast mit Rührei, damit kind gesund abgefüttert wird. Jahrzehntealte Birkenstock-Träume von unbeschwerter Körnerjugend.

Kurzum: Leser des Kinderbuches Zaubernase laufen Gefahr, an einer Überdosis Kleinfamilien-Idylle zu verzweifeln. Aber dann kommt alles anders. Um seinen duschwilligen Bruder zu ärgern, schließt Henning die Badtür von innen ab, steigt aus dem Fenster und hangelt sich an der Regenrinne ins Nebenzimmer, gibt Mama einen Kuß, bevor die sich den Minirock anzieht und auf Inline-Skates gen Arbeitsplatz rollt. Kommt in der Schule an, erinnert sich an den bevorstehenden Mathetest und flieht.

Vor Papas Rache muß der Schwänzer nicht zittern, denn den sieht er erst nächste Woche. Die Eltern sind geschieden und teilen sich die Kindererziehung im siebentägigen Wechsel. Diese Details erwähnt die Hamburger Autorin Maiken Nielsen, als seien sie alltäglich und zerknüllt so das anfängliche Bild vom alternativen Wohnprojekt. Alle Spießigkeit der Welt verbannt die Hamburgerin in den Nachbargarten, wo sich für den Rest des Buches eine Lockenwicklerträgerin entrüstet.

Dabei weiß die noch nicht mal, daß der Zehnjährige eine Woche lang als Ersatzclown beim Zirkus probt und dafür die Schule schwänzt. Zaubernase Henning schnuppert Manegenluft. Berufs-Clown will er werden. Sofort. Daß Henning schließlich doch bei „Mama“ bleibt, liegt nur daran, daß der echte Clown wieder erscheint.

Nett ist Maiken Nielsens erstes Kinderbuch vor allem, weil es unkonventionell ist. Hennings Sorgen sind die vieler Zehnjährige: Der große Bruder ist blöd, Mathe langweilt, und die Eltern haben Zeitnot. Zaubernase packt diesen Batzen und plaziert ihn vor einen ungewohnten Hintergrund. Eine Geschichte mit bürograuem Vater und staubwedelnder Mutter hätte auch nicht zur Autorin gepaßt. Sie hat ihre Kindheit auf dem Frachtschiff ihres Vaters verbracht, zur Grundschule ging sie kaum.

Witzig geschrieben ist ihr Buch jedoch nicht. Wenn Henning morgens aussieht „wie eine zerdepperte Kaulquappe“, kommt statt einem Lacher eher die Frage auf: Stellt ein Zehnjähriger wirklich solche Vergleiche an? Aber das ist bei Zaubernase nicht wichtig. Wichtig ist, daß konservative Nachbarinnen Idiotinnen sind, und daß sich alle Probleme in kleine Körner auflösen. Wenn man darüber redet.

Judith Weber

Maiken Nielsen; „Zaubernase“, Patmos Verlag, Düsseldorf,1996, 100Seiten, 24.80 Mark

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