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Stilblüten auf Motelnachttischen

■ Ulrich Woelk liest aus seinem Roman „Amerikanische Reise“

Jan liebt die Frauen auf rituelle Weise. Zuerst erobert er sie, dann verabschiedet er sich. Jan glaubt dabei, mit offenen Karten zu spielen, vermeidet er doch immerhin parallel laufende Liebschaften. Ein Freak ist er nicht. Sein Leben lang hat er sich fair und konservativ verhalten. Wenigstens denkt er das. Ein besonderes Leben führen, allerdings ohne großen Ehrgeiz, das war es, was er immer wollte. Nun beklagt er, daß es nichts Unbekanntes auf der Welt gibt. Auch die Geographie des weiblichen Körpers ist vollständig erforscht. Hat er irgendwann einen Fehler gemacht, den wrong way eingeschlagen?

In der Amerikanischen Reise läßt Woelk Jan zwei Deutsche in New York besuchen. Walter, seinen ältesten Freund, und Kristin, in deren Gegenwart er, ungewohnt für ihn, sogar hingebungsvolles Verliebt-sein in Erwägung zieht. Walter, ein leicht erregbarer Wall-Street-Yuppie, und Kristin, die Galeristin, haben sich in ihrem Beziehungsgehäuse wundgerieben. Und Jan fühlt sich zwischen ihren Demütigungen und Mißachtungen gar nicht mehr so, wie er es am liebsten hätte: unbeteiligt.

Kristin fährt bald mit Jan über leere Highways, übernachtet mit ihm in kränklich beleuchteten Motelzimmern. Und während die beiden sich wechselseitig mit einem deutschen Pärchen vergnügen und sich in der eigenen Freizügigkeit gefallen, wird Walter in New York beschuldigt, illegale Geld-Transaktionen getätigt zu haben.

Amerikanische Reise fasziniert durch seine kühle Erzählstrenge. Der Roman fährt mit dem schlichtesten Objektivitätsmodell auf, das wir besitzen: der Registrierung von dem, was ist. Um exotische Randansichten auf Amerika wird der Leser jedoch betrogen, Amerika soll so gezeigt werden, wie wir es zu kennen glauben. Eingeschobene Kurzessays über die Chaos-Theorie, über die Simulation der Bilderwelten bestätigen und verknappen ebenfalls nur das, was wir längst aus den informativen Medien wissen.

Was aber wirklich an der Erzählkonstruktion stört, ja, wie ein Schreibwerkstattfehler wirkt, ist die Allwissenheit des Erzählers. Dieser kennt die intimsten Regungen seiner Figuren, nimmt dennoch alles mit dem distanziert-unverbindlichen Blick seines Protagonisten Jan wahr. Trotz dieser stilistischen Blüte kann Woelk eindringlich und glaubhaft erzählen. Vor allem den Mittdreißiger-Singles, die die unverbindliche Enthemmung schätzen, wird ein desillusionierender Blick in den Spiegel geboten: Erschreckt werden sie feststellen müssen, daß sie noch kein Ticket für die Zukunft besitzen.

Stefan Pröhl

Lesung heute, Galerie im DG Hyp Wintergarten, Gertrudenstraße/Ecke Rosenstraße, 19.30 Uhr, Eintritt frei

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