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Kultur! Kultur! Kultur!

■ Gefloskel, Weises und Sinfonisches bei der Eröffnung

Die erste Runde ist geschafft: die Glocke ist am Wochenende mit verschiedenen Veranstaltungen und Konzerten eröffnet worden. Über die Geschmacklosigkeit, eine schöne und gelungene, aber doch auch einfach notwendige Renovierung „Auferstehung“ zu nennen und dazu auch noch programmatisch die „Auferstehungs-Sinfonie“ von Gustav Mahler zu spielen, wollen wir uns hier nicht weiter auslassen. Denn die Interpretation des überdimensionalen, in vielen Hinsichten an die Grenzen gehenden Werkes soll ja nicht in Frage gestellt werden.

Zunächst einmal wurde viel Festliches geplaudert und alle alle kamen. Bremen war trotz dramatischer Finanzsituation einen Augenblick der Nabel der Welt und es berührt schon seltsam, wie in solchen Augenblicken ausgerechnet von Politikern ein Verständnis von Kultur in immer größeren Worten geradezu leidenschaftlich ausgesprochen wird, das der Wirklichkeit leider in keiner Weise entspricht. Von der „Funktion der Kultur als Sinnstiftung der Gesellschaft“ war da die Rede (der Handelskammer-Präses Josef Hattig); davon, daß man aus der Verschuldung auch Perspektiven ableiten könnte – nämlich die von Investitionen in die Kultur (Senatsdirektor Ulrich Keller); davon, daß sich Unternehmen nur in einem kulturellem Klima gerne ansiedeln (Bürgermeister Henning Scherf). Und der Lokalpatriotismus von unserem Henning scheint keine Grenzen zu kennen: Neben der Berliner Philharmonie gäbe es in ganz Deutschland nur einen akustisch fabelhaften Saal, und das sei die neue Glocke. Einer der beiden Architekten – Gerhard Müller-Menckens – geriet begeistert und begeisternd in einen kleinen architekturhistorischen Diskurs über Art Deco („Schauen Sie doch bitte mal an die Decke“), den Stil, in dem die Glocke gebaut und restauriert ist. Zum Fest gab–s auch Musik, die das Philharmonische Staatsorchester unter Günter Neuhold aufgeräumt und inspiriert spielte: Beethovens dritte Leonoren-Ouvertüre und den effektvollen Marsch aus Elgars „Pomp and Circumstance“.

Am Abend hielt der Intendant der Salzburger Festspiele, Gerhard Mortier, die Festansprache. Er hatte sich viel Mühe gemacht und jenseits üblicher Sprechblasen einen historischen Blick auf das Verhältnis von Raum und Musik geworfen, auf die jahrhundertelange gegenseitige Beeinflussung und Abhängigkeit. Romanische Kirchen, San Marco in Venedig, die Leipziger Thomaskirche, das Opernhaus, der Konzertsaal: Stets wurden Bauweisen aus musikalischen Anforderungen entwickelt und stets inspirierten Bauwerke musikalische Formen. Gerhard Mortier – ein Bravo dafür, ausgerechnet ihn nach Bremen zu bitten – zählt zu den wenigen, die Kreativität und Innovation in die großen Institutionen hineinbringen. Er beschwor die notwenige Verschränkung der Künste, erinnerte daran, was Goya mit Beethoven zu tun hat, und was wir selber im Umgang mit Kunst über uns erfahren. Die Wiedergabe historischer Werke bedeutet nicht der Griff in die Mottenkiste, sondern ist „Schatzkammer für unsere Zukunft“. „Nur die Reibung bringt uns voran“, zitierte er Helmut Lachenmann.

Damit war das Klima bestens aufbereitet für Gustav Mahlers „Auferstehungs-Sinfonie“. Schwere und schwerste Kost in jeder Hinsicht: Keine angenehm klingenden, schnell wechselnden Stücke mit der Möglichkeit, in der Pause Leute zu begrüßen, Sekt zu trinken und Kleider vorzuführen. Achtzig Minuten dauert dieses 1897 geschriebene sinfonische Monstrum, das Mahler inhaltlich seiner ersten Sinfonie folgen läßt. Denn der erste Satz, die Totenfeier, ist das Begräbnis seines „Titanen“, nach Texten von Klopstock. Neuhold bemühte sich in seinem Dirigat um eine große Detailgenauigkeit, den Sechzehntel-Streichermotiven hörte man wirklich jeden Staccato-Punkt an. Die schwierigen Tempomodifikationen, in denen Mahler so häufig „unmerklich“ verlangt, gelangen unaufgesetzt und innerlich stringent. Die mitreißende Wiedergabe war geprägt von dem Ineinander der Monumentalität und scharf gezeichneter einzelner Konturen, die in vielen Aspekten weit ins zwanzigste Jahrhundert weisen. Geringfügige Wünsche blieben offen: Traf Neuhold einerseits wunderbar das tänzerisch-wienerische, auch das Wehmütige des zweiten Satzes, so könnte man sich den dritten Satz greller, dämonischer, auch verzweifelter vorstellen. Er ist eine Paraphrase des Fischerpredigt-Liedes aus der Wunderhornsammlung und verlangt als solche auch mehr ironische Pointierung. Die fahlen Farben des „Urlicht“-Satzes gelangen ebenso wie die schwer zu gestaltende Gebrochenheit des letzten Satzes: Genau die brachte Neuhold überlegen zum Ausdruck, ohne daß die Musik zerfällt. Eine große Leistung auch vom Chor des Bremer Theaters (Theo Wiedebusch) und des NDR-Chores aus Hamburg. Die Solistinnen Gabriele Maria Ronge und Dolores Ziegler machten ihre Sache gut. Viel Beifall nach dieser mitreißenden und durch und durch kompetenten Wiedergabe, die Zeichen sein dürfte für künftiges Niveau und Auseinandersetzungen in der Glocke.

Ute Schalz-Laurenze

Mahlers Sinfonie „Auferstehung“ in gleicher Besetzung heute und morgen um 20 Uhr im Philharmonischen Konzert in der Glocke

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