: Die Grenzen der Rentenreform
Juristisch ist bei den Plänen zur Veränderung der Renten vieles möglich, praktisch aber nicht. Die bis heute entstandenen Rentenansprüche sind verfassungsrechtlich geschützt – als Eigentum ■ Von Christian Rath
Die Rente ist sicher – aber wie lange noch? Ganz offen wird heute der Generationenvertrag in Frage gestellt. Vorgeschlagen werden radikale Systemwechsel, etwa hin zur steuerfinanzierten Grundrente oder zur Kapitaldeckung der Renten. Aber was ist verfassungsrechtlich überhaupt möglich?
Das Grundgesetz enthält keine direkten Aussagen zur Rente. Auch das Postulat, daß die Bundesrepublik ein Sozialstaat sei, sagt nicht mehr, als daß Vorsorge für die Risiken von Alter und Invalidität getroffen werden muß. In welcher Form dies aber zu geschehen hat – ob per Sozialversicherung, steuerfinanziert, betrieblich oder privat –, ist dann eine politische Entscheidung.
Trotz dieser scheinbaren Offenheit kann der Gesetzgeber nicht einfach einen Systemwechsel vollziehen, denn die bis heute entstandenen Rentenansprüche sind verfassungsrechtlich geschützt – als Eigentum. Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt, daß die Alterssicherung heute in der Regel nicht durch privates Sachvermögen erfolgt, sondern durch den Arbeitslohn und die Sozialbeiträge. Wenn der Staat aber, so der Schluß, die eigene Vorsorgekraft der Versicherten abschöpft, dann muß er auch die daraus entstehenden Ansprüche grundrechtlich schützen.
Dieser Vertrauensschutz in die staatliche Rente läßt dem Gesetzgeber allerdings noch genügend Spielraum für Modifikationen des Leistungsstandards. Vor allem zur Sicherung der „Funktions- und Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung“ sind Anpassungen möglich. So steht auch der „Eigentumsschutz“ einer Absenkung des Rentenniveaus nicht entgegen, wenn die Versicherten dank der gestiegenen Lebenserwartung immer länger Rente beziehen.
Die Grenze ist dabei jedoch nicht beliebig nach unten verschiebbar. So wäre es nicht zulässig, die Renten bis ans Existenzminimum abzusenken, denn dieses steht in Form von Sozialhilfe allen zu. Wer aber sein Leben lang Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll auch im Ruhestand etwas davon haben. Dieses „Äquivalenzprinzip“ garantiert, daß die Rente ihre Funktion als Lohnersatz nicht völlig verfehlt. Um die Ansprüche zu befriedigen, muß also notfalls der Beitrag zur Rentenversicherung und/oder das Rentenalter erhöht werden. Sind hier die Grenzen der Zumutbarkeit erreicht, muß der Staat als „Treuhänder der Rentenversicherung“ die fehlenden Summen zuschießen. Diese bereits bestehenden Ansprüche an die Rentenversicherung machen den Übergang zu einem anderen Rentensystem fast unmöglich.
Verfassungsrecht spielt auch bei der aktuellen Debatte um die Besteuerung der Renten eine Rolle. 1980 entschied das Bundesverfassungsgericht, daß die Besteuerung der Beamtenpensionen verfassungswidrig werden könnte, wenn „normale“ Rentner weiter steuerrechtlich so stark bevorzugt werden. Denn während die Beamtenpensionen voll besteuert werden, wird bei den Renten nur ein sogenannter Ertragsanteil der Steuer unterworfen. Der Ertragsanteil entspricht den Zinsen, die entstanden wären, hätte man die Rentenbeiträge der Versicherten wirklich angespart. Da die Beiträge selbst aus versteuertem Einkommen stammen, sind sie steuerfrei.
Tatsächlich wird der Ertragsanteil aber nicht errechnet, sondern politisch festgelegt. 1980 betrug er 20 Prozent und stieg seither immerhin auf 27 Prozent. Der Verband deutscher Rentenversicherungsträger sah bereits damit den Anpassungsauftrag des Verfassungsgerichts als „erledigt“ an. Heute aber wird bereits über einen Ertragsanteil der Renten von 50 Prozent diskutiert, was zeigt, wie willkürlich man diesen definiert.
Betont wird jetzt, daß die Arbeitgeberbeiträge zur Rentenversicherung auch nicht besteuert wurden und deshalb zum steuerpflichtigen Ertragsanteil hinzuzurechnen sind. So könnte man den Ertragsanteil sogar auf bis zu 77 Prozent der Renten erhöhen. Woran man nur deshalb (noch) nicht denkt, weil dann wirklich viele Renten steuerpflichtig würden.
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