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Über Brillen schwadronieren

■ ...ohne Brillenträger zu sein: Georges Perecs „Penser/Classer“ goutiert auf dem Kackstuhl

Gibt es eine größere Lust, als mit einem guten Buch in der Badewanne zu liegen und zu lesen: In der Badewanne zu lesen wird von vielen als höchste Lust angesehen. Dabei ist die Idee häufig lustiger als ihre Verwirklichung; die meisten Badewannen erweisen sich als unbequem, und, außer man verfügt über eine Spezialausrüstung – Bücherhalter, schwimmendes Kissen, leicht erreichbare Handtücher und Wasserhähne – erfordern besondere Vorsichtsmaßnahmen, es ist keinesfalls einfacher, in der Badewanne zu lesen als zum Beispiel darin zu rauchen: es ist dies ein kleines Problem des Alltagslebens, dessen sich die Designer einmal annehmen sollten.

Nein, es gibt keinere größere Lust, es sei denn, man säße auf „dem Kackstuhl“ (Joyce) und läse: Zwischen dem sich erleichternden Wanst und dem Text wird eine tiefe Beziehung hergestellt, so etwas wie eine intensive Verfügbarkeit, eine erweiterte Empfänglichkeit, ein Leseglück: eine Begegnung der Eingeweide mit dem Empfindsamen, worüber niemand, wie mir scheint, besser gesprochen hat als Joyce: „Auf dem Kackstuhl hockend, entfaltete er seine Zeitung ...“

Der so schreibt, bereitet seit Jahr und Tag (wiewohl er schon tot ist, Gott sei's geklagt, seit 14 Jahren) den einen höchste Lust, den anderen Verdruß: Es ist Georges Perec. Nämlicher Perec, den man gerade in Bremen aufsaugen, verschlingen sowie preisen, hochleben lassen und bejubeln sollte, weil es ein Bremer Verlag ist, der eben diesen Perec ins Deutsche befördern ließ, mit Titeln wie „Was für ein kleines Moped mit verchromter Lenkstange steht dort im Hof“ oder „Geboren 1936“ (was stimmt!) oder eben jetzt „In einem Netz gekreuzter Linien“. Übersetzer ist der mit „kongenial“ unzulänglich beschriebene Eugen Helmlé, der es schaffte, Perecs Roman „La disparation“ ins Deutsche zu übertragen. Um diese Leistung würdigen zu können, muß man wissen, daß der aus 360 Zeilen bestehende Text ohne ein einziges „e“ auskommt.

Es wird folgerichtig und leider Perec von der Frankfurter Rundschau „Sprachkobold“ genannt, was natürlich Quatsch ist, denn eigentlich dient Perec der Wissenschaft und Sprachliebe. Er gehörte schließlich seinerzeit der Werkstatt für potentielle Literatur an („Oulipo“), einer Institution, die, bestehend aus Sprachriesen wie Italo Calvino und Raymond Queneau, sich 1960 im Pariser Restaurant „Au vrai Gascon“ konstituierte. Oulipisten interessieren sich bzw. erhalten und verbreiten das Wissen über Palindrome, Lipogramme, Anagramme und so fort, und dieses Wissen stirbt und schwindet dahin, wie gerade Sie nur zu genau wissen.

Nun bringen mathematisches Schreiben, Écriture automatique oder Stilübungen nicht nur sich selbst hervor und lustige Ergebnisse, sondern sind auch Voraussetzung für ein Schreiben, wie Perec es versteht, was man unschwer an seinem 1985 in Paris erschienenen „Penser/Classer“ (eben diesem „In einem Netz gekreuzter Linien“) ablesen kann. Natürlich begegnen wir hier (bisweilen verdrossen) seiner Lust auf Redundanz, seiner Freude an Aufzählungen, seiner Zitierwut, seinen Manierismen. Und doch sind seine 13 hier versammelten Texte keine Spielerei, sondern der Versuch, die großen Gedanken, die ihn anfliegen, möglichst systematisch in den kleinen Dingen des Lebens, die sich um ihn gruppieren, zu spiegeln. Oder besser wiederzufinden. Oder zu verstecken. Über Brillen zu schwadronieren, sagt Perec in seinen „Betrachtungen über die Brillen“, scheint auf den ersten Blick, wenn ich einmal so sagen darf, ein trockenes und prosaisches Thema, wenig geeignet, Begeisterung und Überschwang hervorzurufen. Aber nur auf der ersten Blick, versichere ich Ihnen – der zweite lehrt, daß Perec in keiner Weise Brillenträger ist, was man für ein Manko halten könnte, aber immerhin eine sehr ausgesuchte Perspektive erlaubt. Man wird sich – das jedem in die Hand versprochen, der bis hierher gelesen hat – für Perecs Schreibtisch erwärmen. Man wird seine Abhandlung über die Kunst, Bücher zu ordnen, goutieren. Man wird zwischendurch mit kleinen Rezepten belohnt, „Kalbsbries Mephisto“ etwa oder „Seezunge 'Café de Paris'“. Je unverkrampfter man Perec gegenübertritt, desto unverkrampfter liest er sich. In der Straßenbahn. In der Badewanne. Sicher am besten auf dem „Kackstuhl“ (J. Joyce).

BuS

Georges Perec, In einem Netz gekreuzter Linien, Manholt 1996, 143 S., 32 Mark

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