piwik no script img

Abschiebung trotz Gerichtsbeschluß

■ Ein 22jähriger in Berlin aufgewachsener Türke ist nach Istanbul abgeschoben worden, obwohl das Oberverwaltungsgericht gegenteilig entschieden hatte. Rechtsanwalt: „Krasser rechtsstaatlicher Verstoß“

Trotz eines Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts (OVG), einen jungen Türken vorläufig nicht abzuschieben, ist am vergangenen Sonnabend ein 22jähriger in Berlin geborener Türke nach Istanbul ausgeflogen worden. Tamer F. hatte wegen gemeinschaftlicher räuberischer Erpressung und Körperverletzung eine Haftstrafe in der Jugendstrafanstalt Plötzensee abgesessen und sollte ausgewiesen werden.

Zwar hatte das Verwaltungsgericht noch am Donnerstag vergangener Woche mitgeteilt, daß Tamer F. abgeschoben werden dürfe. Nachdem F.s Rechtsanwalt, Peter Meyer, aber eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts eingelegt hatte, entschied das OVG gegen die Abschiebung. In einer sogenannten Zwischenverfügung verfügte das OVG am Freitag nachmittag – also nur einen Tag später –, daß Tamer F. bis zu einer endgültigen Entscheidung nicht abgeschoben werden dürfe.

Sowohl der sogenannte Notdienst der Ausländerbehörde – der extra für Abschiebebelange außerhalb der Dienstzeiten bis in die Abendstunden eingerichtet worden ist – als auch der Leiter der Abschiebehaft Grünau, in der Tamer F. mittlerweile saß, wurden daraufhin per Fax vom OVG verständigt, Tamer F. am Sonnabend früh zu entlassen. Vergeblich. Tamer F. hatte sich laut Meyer am Samstag mittag noch einmal telefonisch vom Flughafen bei seinem Vater gemeldet und sei sofort nach seiner Landung in Istanbul in der Türkei von der Polizei verhaftet und erst am Sonntag freigelassen worden. Dort soll er sich jetzt bei seinem Onkel aufhalten.

Peter Meyer, der in seiner Tätigkeit häufig mit Abschiebungen zu tun hat, ist ein solcher Fall bisher nicht untergekommen: „Das ist ein krasser Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze.“ Wenn solche unrechtmäßigen Abschiebungen sich zukünftig wiederholten, dann seien auch nichtanfechtbare obergerichtliche Beschlüsse „hinfällig“. Scharf kritisierte Meyer die Innenverwaltung: „Innensenator Schönbohm ist nicht in der Lage, seine Verwaltung so zu organisieren, daß sie sich an gerichtliche Beschlüsse hält.“ Der Rechtsanwalt konnte bisher nicht herausfinden, ob die Mitarbeiter des „Notdienstes“ oder die Beamten des Abschiebegewahrsams in Grünau den Beschluß des OVG mißachtet haben.

Die Sprecherin der Innenverwaltung, Francine Jobatey, bestätigte die Abschiebung. Zu „Ursachen und Gründen“ konnte sie sich bisher jedoch nicht äußern. Peter Meyer erwägt jetzt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Ausländerbehörde. Julia Naumann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen