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Die Gold- und Gelddrehscheibe Schweiz

In Bern veröffentlichten 200 Persönlichkeiten ein Manifest, daß die Schweiz als „Helfer der Nazis“ bezeichnet. Unterzeichnet hat auch Werner Rings. Seine und Gian Trepps vor Jahren publizierten Studien sind erst jetzt hochaktuell  ■ Von Werner Rügemer

Seit den 60er Jahren befaßte sich Werner Rings mit der Rolle der „neutralen“ Schweiz im Wirtschaftsgeschehen des Zweiten Weltkriegs. Seine Fernsehreihe „Schweiz im Krieg“ (1973) wurde viel beachtet – und schnell vergessen. 1985 wurde in Zürich sein Buch „Raubgold aus Deutschland“ veröffentlicht. Auch dieses im Artemis Verlag erschienene Buch wurde schnell vergessen – bis es 1996 durch die Berichte über „nachrichtenlose jüdische Guthaben“ aus der Zeit des Weltkrieges auf neues Interesse stieß. Der Piper-Verlag hat die Zeichen der Zeit erkannt und das damals fast unbeachtete Buch wieder neu aufgelegt. Zusammen mit der ebenfalls schon vor ein paar Jahren erschienen Studie von Gian Trepp über die Schweizer Bankgeschäfte mit dem Feind sind beide Bücher unverzichtbar, wenn es jetzt um späte Gerechtigung und Entschädigung geht.

Nationalsozialistische „Judenschmuckspezialisten“ und „Devisenschutzkommandos“ durchkämmten die besetzten Länder: Polen, Tschechoslowakei, Belgien, Holland, Italien. Devisenbestände von Bankfilialen, Goldbestände von Juwelieren und Schwarzmärkten wurden requiriert. Aus dem Vernichtungslager Treblinka etwa wurden ausgebrochene Goldzähne, Eheringe und Armketten – „jede Woche acht bis zehn Kilo“ – nach Berlin geschickt. Die Preußische Staatsmünze schmolz die Lieferungen ein. Aus den Zentralbanken Hollands, Belgiens und Italiens wurden Goldbarren im damaligen Gesamtwert von 1,7 Milliarden Schweizer Franken (SFr) geraubt und zur Reichsbank nach Berlin geschafft.

Für die rüstungstechnisch entscheidenden Rohstoffe Mangan, Chrom und Wolfram – notwendig für Stahlhärtung – war die deutsche Kriegsführung fast vollständig von anderen Ländern abhängig. Dies waren insbesondere Portugal und die Türkei als Verbündete Großbritanniens sowie Spanien. Schweden lieferte 40 Prozent des Eisenerzes. Doch kein Lieferant des Deutschen Reiches wollte mit Gold bezahlt werden, da die Herkunft bekannt und nach dem Krieg Rückforderungen der rechtmäßigen Besitzer befürchtet wurden.

Hier bot die Schweiz ihre gut bezahlten Dienste an. Der Schweizer Franken unterlag als einzige weltweit akzeptierte Hartwährung – trotz Krieg – keiner Devisenkontrolle. Die Nationalbank kaufte das Gold im damaligen Gesamtwert von 1,2 Milliarden SFr und verkaufte es weiter. Sie richtete darüber hinaus ein Golddepot für 18 Zentralbanken ein; das größe Depot wurde von der Reichsbank gehalten. Die Eidgenössische Münzstätte goß geraubte ungarische Goldbarren um und versah sie mit Schweizer Prüfzeichen. Daß die Reichsbank die belgischen Goldbarren umgeprägt hatte, blieb den Profis angeblich verborgen. Der Tresorraum der Schweizer Nationalbank wurde zum „Zentrum des bedeutendsten Goldhandels im Zweiten Weltkrieg“. Die schweizerischen Goldimporte aus Deutschland machten mehr als ein Drittel der Weltproduktion an Gold während der Kriegsjahre aus.

Das Verhalten der Schweizer Banken und der Regierung läßt sich nur verstehen, wenn man die engen wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz mit dem Deutschen Reich einbezieht. 1939 hatte die Schweizer Regierung in Erwartung der kommenden Geschäfte das Verbot von Waffenexporten aufgehoben. Hochwertige Rüstungsgüter wie Flugzeugbestandteile, Zünder, präzisionstechnische Komponenten für das deutsche Panzer- und Fernsteuerprogramm konnte vor allem die Schweiz liefern. Sie war von allen neutralen Ländern der großzügigste Kreditgeber für das NS-Regime. 75 Prozent der Uhrenindustrie, 70 Prozent der Elektroindustrie, 60 Prozent der Waffenindustrie der Schweiz waren mit deutschen Aufträgen ausgelastet. Außerdem war in keinem Land so viel Schweizer Kapital angelegt wie in Deutschland. Gleichzeitig gab es Hunderte deutscher Tarnfirmen in der Schweiz; die „Waffenfabrik Solothurn“ etwa gehörte der deutschen „Rheinmetall-Borsig“.

Die Banker hielten sich während des Krieges an die Sprachregelung, das eingekaufte Gold stamme „aus Vorkriegsbeständen der Reichsbank“. Nach dem Krieg gaben sie zu, über die wahre Herkunft des Goldes Bescheid gewußt zu haben. Gegenüber den Alliierten anerkannten sie in langwierigen Verhandlungen nach Kriegsende keine Rechtsgrundlage für eine Erstattung, zahlten aber 1946 freiwillig 250 Millionen SFr. Damit beendeten auch die Alliierten alle weiteren Nachforschungen.

Ein diskret arbeitender Herrenklub in Basel

Gian Trepps „Bankgeschäfte mit dem Feind“ beleuchtet die internationale Seite des Finanzplatzes Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Trepp schildert die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Diese heute noch bestehende Bank wurde 1929 durch eine Vereinbarung der US-amerikanischen, japanischen, deutschen, britischen, französischen, italienischen, belgischen und deutschen Regierung gegründet und von Vertretern der Zentralbanken geleitet. Sie wickelte die Reparationszahlungen Deutschlands an die Westmächte ab. Sitz wurde Basel. Die Schweizer Regierung beschloß, die BIZ von der Schweizer Gerichtsbarkeit auszunehmen; das Baseler Stadtparlament befreit die BIZ von der Steuerzahlung. Im Gegensatz zum zerstrittenen Völkerbund in Genf funktionierte der diskrete Herrenklub der Zentralbankgouverneure in Basel gut.

Als Deutschland 1932 die Reparationszahlungen einstellte, hatte die BIZ ihre bisherige Aufgabe verloren, ihre nächste aber schon gefunden: Sie wurde zu einem Zentrum der Appeasement-Politik der Westmächte. Deutschland und Italien traten aus dem Völkerbund aus, nicht aber aus der BIZ. Als die Wehrmacht 1939 die Tschechoslowakei überfiel, transferierte die BIZ die bei der Bank of England deponierten 23 Tonnen Gold der tschechoslowakischen Nationalbank durch eine Umbuchung an die Reichsbank.

Bis 1939 war Wilhelm Beyen vom holländischen Unilever-Konzern im BIZ-Präsidium. Unilever als weltgrößter Seifen- und Margarinehersteller hatte mehrere große Werke in Deutschland. Zunächst profitierten englische und französische Firmen am meisten von der BIZ: über sie wurden die aus den deutschen Reparationen stammenden Investitionen in Deutschland – Reichsschatzanweisungen, Reichsbahn- und Reichspostobligationen – abgewickelt, einschließlich der pünktlichen Zinsauszahlungen. 1939 wurde mit der Wahl des Wall-Street-Bankers MacKittrick zum Präsidenten das Interesse der USA an der BIZ deutlich. Das enge Netz von BIZ-Korrespondenzbanken an der Wall Street und die Bereitschaft zu „Zahlungen ohne Namensnennungen“ ermöglichten Deutschland den Einkauf von Kriegsmaterial in den USA. Die BIZ übernahm einen Teil des Raubgoldes von der Schweizer Nationalbank und übernahm die Transporte ins Ausland, insbesondere nach Portugal und New York. Die US-Unternehmen IBM, General Electric, Ford und General Motors nutzten die BIZ für ihre Geschäfte mit Nazideutschland. Trepp spricht von einer „perfekten Symbiose der BIZ mit der Schweizerischen Nationalbank und den Schweizer Großbanken“. Deutlich wird ebenfalls, daß Hitlers Goldwäscher nicht nur in der Schweiz saßen, sondern auch in den Zentral- und Privatbanken der westlichen Alliierten und der besetzten Länder.

Werner Rings: „Raubgold aus Deutschland. Die ,Golddrehscheibe‘ Schweiz im Zweiten Weltkrieg“. Piper Verlag, München 1996, 244 Seiten, 28 DM (Lizenz Chronos Vlg., Zürich 1996)

Gian Trepp: „Bankgeschäfte mit dem Feind. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich im Zweiten Weltkrieg“. Rotpunkt Verlag, Zürich 1993, 268 S., 36 DM

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