: Republikanische Front gegen rechts
Bei den Kommunalwahlen im südfranzösischen Vitrolles erhielt die Kandidatin der rechtsextremen Front National fast 47 Prozent. Jetzt diskutieren die übrigen Parteien ein Bündnis ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Die Strohfrau hat alle überrascht. Catherine Mégret, die von ihrem für unwählbar erklärten Gatten Bruno vorgeschickte Bürgermeisterkandidatin der Front National in der südfranzösischen Stadt Vitrolles, hat am Sonntag beinahe 47 Prozent der Stimmen bekommen. Damit erreichte sie das historische beste Ergebnis der rechtsextremen Partei in einem ersten Wahlgang. Die bis vor kurzem noch nicht einmal politisch organisierte, geschweige denn aktive Frau, die in Paris wohnt und ausschließlich zu Wahlkampfzwecken – und immer in Begleitung ihres Gatten – nach Vitrolles kam, verbesserte das Ergebnis ihrer Partei um beinahe vier Prozent.
Weit abgeschlagen hinter der Front National (46,7 Prozent) bekam die sowohl von Kommunisten als auch von Umweltaktivisten unterstützte Kandidatur des Sozialisten und langjährigen Bürgermeisters Jean-Jacques Anglade 37 Prozent. Der Kandidat der konservativen Regierungsparteien RPR und UDF landete mit 16,3 Prozent auf dem dritten Platz. Sollte Catherine Mégret ihren Wahlsieg im zweiten Durchgang am kommenden Sonntag bestätigen, würde Vitrolles nach den Nachbarorten Toulon, Orange und Marignane die vierte rechtsextrem regierte Stadt Frankreichs.
Entsprechend groß war gestern der Schock in den Parteizentralen in Paris, die sich sämtlich auf die Parlamentswahlen im kommenden Jahr vorbereiten. Das Stichwort „Testwahl“ in Vitrolles nahm freilich nur die triumphale Front National in den Mund, die sich bereits auf einen Einzug in das Parlament vorbereitet. Bruno Mégret, der zweite Mann und Chefideologe der Front National, der von einem Gericht wegen Überziehung des Wahlkampfetats bei der letzten Kampagne in Vitrolles für ein Jahr für unwählbar erklärt worden war, darf 1998 wieder kandidieren. Er will das voraussichtlich in Frankreichs Süden, dem Midi, tun, wo die rechtsextremen Kommunalverwaltungen bereits jetzt die Wähler einstimmen.
Auf Seiten aller „traditionellen“ Parteien, von der neogaullistischen RPR über die liberale UDF und die Sozialisten bis hin zu den Kommunisten, verlautete als erster Reflex auf das Wahlergebnis in Vitrolles der Ruf nach der „republikanischen Front“. Eine solches Bündnis aller Republikaner hinter dem im ersten Durchgang stärkstplazierten Kandidaten ist bereits mehrfach als Ultima Ratio gegen die Front National praktiziert worden. Im vergangenen Oktober verhalf eine „republikanische Front“ einem Kommunisten in der südfranzösichen Stadt Gardanne zur Wahl ins Parlament. Im November hievten alle Republikaner gemeinsam einen Konservativen in das Rathaus der normannischen Stadt Dreux.
Ob das Rezept der „republikanischen Front“ jedoch auch in Vitrolles funktioniert, ist fraglich. Der sozialistische Bürgermeister und Kandidat Anglade ist eine umstrittene Figur. Nicht nur, weil er in seinen bislang 13 Jahren im Rathaus eine bürger- und basisferne Politik betrieben hat, sondern auch, weil seit einigen Monaten ein Untersuchungsverfahren wegen falscher Rechnungsführung gegen ihn läuft. Im Vergleich zu der wegen diverser Unregelmäßigkeiten auf Antrag der Front National von einem Gericht annullierten letzten Bürgermeisterwahlen im Juni 1995, schnitt Anglade dieses Mal trotz kommunistischer und grüner Unterstützung sogar schlechter ab. Auf eine Mobilisierung weiterer Wählerschichten für den zweiten Wahlgang darf Anglade dieses Mal nicht hoffen: Schon beim ersten Durchgang war die Beteiligung mit 77 Prozent ungewöhnlich hoch.
Von Paris aus forderten gestern die Parteichefs von RPR und UDF den konservativen Kandidaten Guichard auf, seine Kandidatur im zweiten Durchgang zurückzuziehen und den Sozialisten zu unterstützen. Guichard, der auf einen langen politischen Zweikampf mit Anglade zurückblickt, hatte sich im Wahlkampf stets gebrüstet, daß er das „nie“ tun würde. Doch selbst wenn der Konservative vor Ort zur Wahl des Sozialisten aufruft, wird es knapp werden. Ein Teil der konservativen Wählerschaft wird eher gar nicht oder rechtsextrem stimmen, als gemeinsam mit Kommunisten und Sozialisten wählen.
Die im Norden von Marseille gelegene Stadt war bis in die Mitte der sechziger Jahre ein 2.000-Einwohner-Dorf. Binnen zehn Jahren wuchs sie – als sogenannte ville nouvelle – um 10.000 Seelen und sollte, hätten sich die Planungen der Pariser Zentralregierung durchgesetzt, heute 200.000 Einwohner haben. Doch die Krise in den benachbarten Industrieanlagen von Fos-sur-Mer verhinderte diese Entwicklung.
Der Wahlkampf war erbittert geführt worden und hat die 39.000-Einwohnerstadt in ein Klima von Verleumdung, Gerüchten und Angst gebracht. Mehrfach riefen die Wahlkämpfer der vier „alten“ Parteien die Gerichte zur Hilfe, um Angriffe auf ihr Privatleben und politisch diffamierende Flugblätter der Front National untersagen zu lassen. Am Wahltag selbst herrschte in zahlreichen Wahlbüros von Vitrolles ein bedrücktes Klima. Aus Paris angereiste Front-National-Ordner mit Walkie-talkies bezogen Position vor und in den Wahlbüros. Ältere Immigranten und Linke äußerten die Sorge, daß es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den rechtsextremen Ordnern und gegnerischen Jugendlichen kommen könnte. „Die Front National wartet nur darauf, daß irgendein junger Immigrant die Nerven verliert“, erklärte ein Kommunist aus Vitrolles.
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