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Der Schwarze Peter wandert weiter

■ Die bulgarische Opposition lehnt Verhandlungen über eine Koalitionsregierung mit den Sozialisten ab. Der Präsident will nicht vermitteln. In der Hauptstadt Sofia werden die ersten Lebensmittel knapp

Sofia (taz/dpa/rtr) – Das Gezerre um eine neue Regierung in Bulgarien geht weiter: Gestern lehnte die antikommunistische Opposition den Vorschlag der Sozialisten (BSP) für neue Gespräche über eine Koalitionsregierung als „verfassungswidrig“ ab. Das geht aus einer Erklärung der Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS) hervor, über die der staatliche Rundfunk nach einer Sitzung aller Oppositionsparteien berichtete. „Die Opposition lehnt ihre Teilnahme an den zweifelhaften Spielen hinter den Kulissen der Sozialisten ab“, heißt es in dem Dokument.

Bereits am Sonntag hatte die Opposition dem Angebot der Sozialisten, über eine Koalitionsregierung unter der Vermittlung von Staatspräsident Petar Stojanow zu verhandeln, eine Absage erteilt. Eine Sprecherin des größten Oppositionsbündnisses Union der Demokratischen Kräfte (SDS) sagte, Gespräche werde es erst geben, wenn die Sozialisten das ihnen übertragene Mandat zur Regierungsbildung zurückgäben. Ein Sprecher Stojanows teilte mit, eine Vermittlung des Präsidenten komme nicht in Betracht.

Die Sozialisten ihrerseits hatten nach mehrstündigen Verhandlungen am Sonntag erklärt, dem Parlament am Dienstag eine neue sozialistische Regierung zu präsentieren, sollten die angestrebten Verhandlungen scheitern. Der mit der Regierungsbildung beauftragte Innenminister Ivan Dobrew muß bis heute eine Kabinettsliste vorlegen.

Überdies hatte BSP-Chef Georgi Parwanow Neuwahlen für Juni vorgeschlagen, falls sich die Lage im Land stabilisiert habe. Bulgarien brauche sofort eine neue Regierung, um die wirtschaftlichen Probleme anzupacken, darunter den Verfall der Landeswährung Lew und die steigende Inflationsrate, begründete Parwanow seinen Vorschlag. Die Sozialisten können bei der Vertrauensabstimmung im Parlament mit den Stimmen von 122 der 240 Abgeordneten rechnen, was die absolute Mehrheit bedeuten würde.

Unterdessen gingen die landesweiten Proteste weiter. In der Hauptstadt Sofia streikten die Beschäftigten der öffentlichen Vekehrsbetriebe. Studenten blockierten erneut Straßenkreuzungen. Zwei Demonstranten wurden nach Angaben eines Studentenführers verletzt, als ein Auto die Blockade durchbrach.

Bestreikt wurden nach Gewerkschaftsangaben außerdem der Schwarzmeerhafen Burgas sowie alle bulgarischen Kohlegruben und die Waffenfabriken bei Sopot. Demonstranten wollten ferner die Donaubrücke nach Rumänien bei Russe blockieren. Die Fährverbindung mit Rumänien sollte gestern ebenfalls eingestellt werden. Der internationale Flughafen von Sofia soll heute vorübergehend bestreikt und morgen ganz geschlossen werden.

In der 60 Kilometer südlich von Sofia gelegenen Stadt Doupniza blockierten Demonstranten auch weiterhin Straßen- und Bahnverbindungen nach Griechenland. Für den Bürgermeister von Doupniza, Pantcho Panayotov, ist diese Form des Protestes eine logische und notwendige Antwort auf das Verhalten der BSP. „Die Kommunisten verstehen nichts von Ethik und Diplomatie, sondern nur etwas von Machterhalt. Und das mit allen Mitteln“, sagte er gestern in Berlin.

Die staatliche Nachrichtenagentur BTA meldete, die sechstägige Blockade der Verbindungen nach Griechenland habe verhindert, daß über 1.000 Güterwaggons mit Lebensmitteln, Kohle, Treibstoff und Medikamenten ins Land gelangt seien. Aus Sofia wurden derweil erste Lebensmittelengpässe gemeldet, weil der Großhandel die Lieferungen eingestellt hat. Viele Grundnahrungsmittel sind nicht mehr erhältlich. Gestern morgen war in Sofia das Brot knapp. Etwa die Hälfte der Geschäfte blieb aus Solidarität mit der Opposition geschlossen. Wegen der stündlichen Abwertung des Lew können die Händler kaum noch die Preise kalkulieren.

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