: „Abschreckung funktioniert nicht“
■ Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Institut Niedersachsens über Sexualtäter
taz: Fast jeden Tag wird gefordert, gegen Sexualstraftäter härter durchzugreifen. Auch die Justizminister von Bund und Ländern haben sich Ende voriger Woche auf rigide Maßnahmen geeinigt. Halten Sie die hektisch anmutende Reformiererei für angemessen?
Christian Pfeiffer: Haben wir überhaupt eine Situation, die Handeln erfordert? In den 80er Jahren gab es durchschnittlich fünf Sexualmorde pro Jahr, in den letzten Jahren vier.
Die Zahl polizeilich registrierter Vergewaltigungen ist auf dem niedrigsten Stand seit den 50er Jahren, obwohl die Anzeigebereitschaft gestiegen sein dürfte. Um die Zahlen bei Kindesmißbrauch zu erhellen, haben wir 4.000 Frauen und Männer nach ihrer Kindheit gefragt. Danach war sexueller Mißbrauch in den 40er und 50er Jahren etwas häufiger als heute. Die Zahl der Delikte ist stabil bis rückläufig.
Dennoch haben die Justizminister eine Erhöhung der Höchststrafe für Sexualtäter von 10 auf 15 Jahre beschlossen.
Ich halte das für unsinnig, denn Abschreckung funktioniert im Bereich der Sexualdelikte nicht.
Der bayrische Justizminister gibt offen zu, er wisse das. Er wolle aber durch langes Wegschließen der Täter die Rückfallquote senken.
Dafür haben wir andere Instrumentarien. Wer als psychisch krank und gefährlich definiert wird, der wird unbefristet zum Maßregelvollzug in ein Landeskrankenhaus eingewiesen. Zweites Argument: Ich glaube nicht, daß sich dadurch der Strafrahmen insgesamt erhöht. Die Richter lassen sich erfahrungsgemäß von solchen Veränderungen wenig beeindrucken.
Weiter beschlossene Maßnahme: Ein Schuldfähiger mit hoher Rückfallgefahr soll schon nach dem ersten und nicht erst nach dem dritten Rückfall in die Sicherheitsverwahrung kommen.
Das ist die einzige Reform, die ich für richtig halte. Alle anderen Defizite liegen nicht bei der Rechtsprechung, sondern in der Praxis. Beispiel: Jedes zweite Gutachten ist unzureichend, so hat eine Doktorarbeit aus der Uni Essen ergeben, den Gutachtern fehlt oft die Sachkunde. Zweites Beispiel: Die Frage, ob jemand aus der Therapie entlassen werden soll, beantwortet bei uns dummerweise meist der Therapeut. Also einer, der sich mit dem Täter angewärmt hat – was er muß, sonst macht er keine gute Therapie. Es wäre besser, diesem Therapeuten einen unabhängigen Gutachter an die Seite zu stellen. Drittes Beispiel: Wir müssen den Studiengang und die Fortbildung der Psychiater verändern. Psychiatrische Sachverständige haben oft zuwenig Fachwissen.
Das alles steht nicht auf der Liste der Justizminister. Statt dessen sollen nun Haftentlassungen von Therapienauflagen abhängig gemacht werden.
Die Koppelung ist problematisch und verführt Täter zu Lippenbekenntnissen, weil sie auf die Freiheit schielen. Mir wäre lieber, die Anzahl und Intensität von Therapien deutlich zu erhöhen. Zudem haben wir viel zuwenig Therapiemöglichkeiten in Freiheit, im Rahmen von Bewährungsauflagen, weil sich Therapeuten oft scheuen, solche Leute in ihr Wartezimmer zu lassen. Wenn ein Täter entlassen wird, steht er oft ganz alleine da. Die Therapie innerhalb und außerhalb des Gefängnisses muß besser verzahnt werden. Interview: Ute Scheub
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