: High-Tech & Wattebausch
■ Wenn Restauratoren über die hohe Kunst des Bewahrens streiten
Die Feierlichkeiten zur „Auferstehung“ der Glocke waren pompös. Schließlich flossen fast 30 Millionen Mark in die aufwendigen Umbauarbeiten. Doch auf Millionen-Aufträge mußten Bremens Restauratoren vergeblich warten: Nur knapp 350.000 Mark entfielen auf Restaurierungsarbeiten. „Ein paar kleine Fresken verschieben, bißchen Fassadenarbeiten und dann Holzverbesserungen – mehr war da nicht“, weiß Landesdenkmalpfleger Hans-Christoph Hoffmann. Öffentliche Aufträge allein machen Bremens Restauratoren nicht satt. Vorreiter gehen deshalb mit verheißungsvollen Techniken auf Kundenfang.
Für das Bewahren, Pflegen und Erhalten unseres historischen Kulturerbes gibt es keinen eigenen Haushaltsposten. Die „Stiftung wohnliche Stadt“ sponsort Restaurierungsarbeiten im Rathaus mit jährlich bis zu 250.000 Mark, „was sonst gemacht wird, regelt das Bremer Hochbaumanagement“, so Hoffmann. Doch auch da weiß man: „Schön, wenn es einen Topf gäbe. Aber es gibt keinen,“ sagt Betriebsleiter Falko von Strauß und Torney. Da ist für Restaurator d–Agostino klar: „Wer die besten Kontakte zum Denkmalpfleger hat, bleibt am Ball.“ Oder arbeitet am guten Ruf bei privaten Kunden, die mit neuesten Techniken angelockt werden.
High-Tech und Computer haben bei Restaurator Roger Kossann in der Stader Straße längst Einzug gehalten. Per Simulation spielt Kossann neue Farben, Kontraste und Elemente am Möbelstück durch – bevor Hand angelegt wird. Kossann, als „Computer-Guru“ in der Branche verschrien, setzt auf High-Tech, um die Historizität seiner Objekte so effektiv wie möglich zu wahren. Museen wie das Verdener Domherrnhaus, das Schloß Ritzebüttel oder das Heimatmuseeum Buxtehude kamen bereits in den Genuß seiner Computerfertigkeiten. „In Bremen ist kaum was zu holen“, weiß Kossann, weil die Kunsthalle und das Focke-Museum bereits eigene Restauratoren haben. Da setzt Kossann auf seine zufriedene Stammkundschaft und verteilt Hochglanzbroschüren: „Der gute Ruf beim Kunden entscheidet.“
Schlichte Visitenkarten liegen dagegen bei den Restauratoren Nicolino d'Agostino und seinem Partner Lothar Mießner in der Werkstatt. „Wir haben bloß Telefon, noch nichtmal Fax“, wehrt Mießner ab und schaut zur Uhr an der Wand. Sie zeigt seit Wochen auf die gleiche Zeit: halb acht. Trotzdem haben sich die beiden millionenschwere private Kunden aus Schwachhausen, Horn und Oberneuland erarbeitet. Da darf eine holländische Barockuhr im Wert von 80.000 Mark schon mal für 8.000 Mark restauriert werden. Öffentliche Aufträge sind für die beiden längst tabu. Vor vier Jahren restaurierten sie die Tür und die Inneneinrichtung vom Schütting auf den Markplatz. „Aber da ist jetzt nichts mehr zu holen“, weiß Mießner. „Eigentlich ist das alles Luxus“, weiß Mießner, „das können sich nur noch bestimmte Leute leisten.“
In solchen Konkurrenzzeiten setzt die Restauratorenschaft auf hohe Leistungsstandards. „Es ist ein Unding, daß sich immer noch jeder Restaurator nennen darf“, ärgert sich Roger Kossann, der sich im Dachverband der Restauratoren für eine geschützte Berufsbezeichnung stark macht – samt Hochschulstudium und Anerkennung durch die Handwerkskammer. Schließlich gebe es zuviele Autodidakten, die beim Lernen am Objekt einfach zuviel Pfusch betreiben.
Restaurator Mießner hat eigentlich Polierer und Beizer gelernt, sein Partner d–Agostino wuchs bei Rom auf, lernte – seit er zwölf ist – in der Restaurierungswerkstatt seines Vaters. Später holte er an der Kunsthochschule seinen „Maestro d'Arte“ nach. Die beiden setzen auf ihre Erfahrung und Augenmaß. Als d'Agostino eine zwei Zentimeter kurze Rose an einer Elfenbeinskulptur nachbilden wollte, ließ er einfach seine Frau samt Rose Modell stehen – und rechnete die Maßstäbe kurzerhand um.
Maßstäbe, die bei Restaurator Kossann längst der Computer unter sich hat. Schließlich soll, wenn ein Fuß vom Schrank fehlt, historisch perfekt und detailgetreu nachgearbeitet werden. „Ich will das Stück so weit wie möglich in seinen Ursprüngen erhalten“, sagt Kossann. Das will auch Restaurator d–Agostino: „Ich will das Stück zum Ursprung zurückbringen, damit es sein Besitzer wieder benutzen kann.“ In drei Monaten wird der Biedermeier-Sekretär fertig sein – sein Mahagoniholz mit altem Schellack aus indischem Baumharz durchtränkt sein und glänzen. Alte Benutzerspuren merzt d'Agostino selbstverständlich aus. Eine Einschätzung, die Restaurator Roger Kossann die Zornesröte ins Gesicht treibt, „das ist genauso, als würde sich jemand einfach alle Falten wegmachen lassen.“ Doch für Restaurator d'Agostino ist „das alles nur Pfusch.“ Sonst könnte man den Biedermeier-Sekretär ja einfach nur fürs Museum konservieren – und ihn in seinem schlichten Stil belassen. kat
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