piwik no script img

Urwald der Guerilla

Die Bauern im zentralperuanischen Regenwald sind an die Túpac-Amaru-Guerilla gewöhnt. Wenn die MRTA Straßensperren macht, gibt es etwas zu essen  ■ Aus Oxapampa Ingo Malcher

Luis Camarila liegt mit seiner zerschlissenen Jeans im Gras, das Hosenbein über dem Knie wurde schon mehrmals geflickt. Zuletzt mit einem blau-rot gestreiften Baumwollstoff, der an alte Männerunterhosen erinnert. Doch auch davon sind nur noch Fetzen übrig. Die Mütze über seinem dunklen faltigen Gesicht hat ebenfalls schon bessere Tage gesehen, nur noch das Innenfutter ist davon übrig. Neben ihm im Gras liegt eine kleine blaue Plastiktüte mit Kokablättern. Immer wieder greift er hinein, holt eines der getrockneten Blätter heraus, beißt den Stil ab, spuckt ihn aus, und schiebt sich das Blatt unter die Zunge.

Er starrt lange an seiner Holzhütte vorbei, über das Tal hinweg auf die gegenüberliegenden bewaldeten grünen Hügel. Irgendwo hinter ihm rauscht ein Bach, der allerdings unter dem Dickicht der tropischen Bäume nicht zu sehen ist. „Hier kommen sie schon mal vorbei“, sagt er, ohne den Kopf zu bewegen. „Sie“, das sind die Guerilleros der „Revolutionären Bewegung Túpac Amaru“ (MRTA), die im Urwald des Departements Oxapampa eines ihrer Rückzugs- und Aufmarschgebiete haben. Daher wimmelt es in der Gegend auch zur Zeit von Militärs. Tagsüber sieht man so gut wie nichts von ihnen, erst nachts machen sie sich auf, um die MRTA zu jagen. Gelegentlich sind dann Schüsse zu hören. „Die haben schon eine Idee, wo die MRTAler stecken“, glaubt Luis Camarila. Doch sind sie schwer zu kriegen. Denn „die MRTAler sind Normaden, sie bleiben nicht lange an einem Ort. Und wenn die Armee von der einen Seite ins Tal kommt, sind sie auf der anderen Seite ganz schnell draußen.“

Die Hütte von Luis Camarila ist aus dunkelgrauen Brettern zusammengenagelt. Auf gut 20 Quadratmetern leben darin er, seine Frau und die fünf Söhne. Die Hütte hat keine Fenster, doch kommt zwischen den Ritzen der Bretter genug Licht hindurch, um den Raum zu erleuchten. Die Küche ist in einer kleineren Hütte davor untergebracht. Der Herd ist mit Steinen aus dem nahegelegenen Bach vorsichtig zusammengebaut. Der Rauch aus dem Bambusstangenfeuer sticht in der Nase. Das Wasser für die Küche kommt aus dem Bach und wird in Plastikkanistern aufbewahrt.

An einem kleinen Tisch mit zwei Holzbänken sitzen die drei kleinsten Kinder und essen zu Mittag. Der jüngste von ihnen geht mit vier Jahren noch nicht zur Schule, die anderen schon. Doch der Schulbesuch ist schwieriger geworden, nachdem die nächste Schule im nahegelegenen Dorf geschlossen wurde. Zu Fuß sind es jetzt eine dreiviertel Stunde in die Grundschule. Eine weiterführende Schule gibt es erst wieder in Oxapampa. Die meisten Kinder im Urwald gehen nur auf die Primaria. Wenn sie zwölf sind, ist ihre Schulzeit beendet, da sie die Eltern für die Landarbeit brauchen.

Zu essen gibt es, was wenig kostet: Weichgekochte Nudeln und kleine Kartoffeln. Damit das Ganze noch etwas Geschmack hat, werden kleine Rocoto-Stücke zu den Nudeln reingeschnitten. Rocoto ist eine paprikaähnliche Frucht, nur viel schärfer. Als Getränk dazu gibt es gekochte Milch. Sieben Liter geben die Kühe von Luis Camarila täglich. „An manchen Tagen haben wir nur die Milch“, sagt er leise und schaut auf den Boden.

Rocoto ist für Luis Camarila, wie für die meisten Campesinos in der Gegend von Oxapampa, die einzige Einnahmequelle. Der Großteil der Produktion wird in die Hauptstadt Lima Arequipa verfrachtet. Wegen der Überproduktion sind die Preise für Rocoto in den Keller gesackt. Zwar holt Hector Romero bei Luis Camarila heute eine ganze Lkw-Ladung ab, doch die ist gerade einmal 400 Soles wert, rund 250 Mark. Und davon sieht Luis Camarila nur 250 Soles, der Rest geht drauf für den Transport.

Der rote Lkw wird von Hand mit den vollgestopften Rocoto- Säcken beladen. Die beiden älteren Söhne wechseln sich mit dem Tragen der schweren Säcke ab. Ein Rocoto-Sack ist etwa doppelt so groß wie ein Zementsack. Luis Camarila kann mit seinen 47 Jahren die schweren Säcke nicht mehr heben. Der Mann sieht aus wie 60. Seine Hände fassen sich an wie Schmirgelpapier, sein Rücken ist krumm. Normalerweise hat er nur wenige Säcke zu transportieren. Dann lohnt es sich nicht, den Lkw zu bestellen, er belädt seinen Esel und läuft nach Oxapampa. Andere Campesinos, die keinen Esel haben, tragen den Rocoto auf dem Rücken in die Stadt. Viele von ihnen müssen einen Tag laufen.

Mit dem Lkw sind es in der Regenzeit etwa fünf Stunden Fahrt im Schrittempo nach Oxapampa. Der Weg ist beschwerlich, Flüsse und Bäche müssen durchquert werden. Der rote Ford von Hector Romero ist für die Strecke zu breit und droht oft seitlich den Hang hinunterzurutschen. Oft kommt er einen steilen Hügel nicht beim ersten Versuch hoch. Dann schaufeln seine Mitfahrer, die sonst auf der Ladefläche sitzen und fünf Soles (zwei Dollar) am Tag bekommen, den Weg frei. Es ist schwül, schon nach wenigen Schritten ist man hier durchgeschwitzt. Im ersten Gang jault der Laster die Steigungen hoch, vorbei an Bananenstauden, Palmen und Farnen, die so groß sind wie Menschen.

„Hier würde ich gerne mal den Chino mit hoch nehmen, damit er sieht, wie die Leute hier leben und schuften“, brüllt Hector Romero, weil der Motor so laut heult, daß man kaum sein eigenes Wort versteht. „El Chino“ – der Chinese – wird der peruanische Präsident Alberto Fujimori wegen seiner japanischen Herkunft genannt. Hector Romero hält die schwarze Billardkugel, die den Schaltknüppel verziert, nach vorne gedrückt, weil der Gang sonst immer wieder herausspringt. Mit der linken Hand versucht er, das Lenkrad einigermaßen ruhig zu halten. Es gelingt ihm nur schwer. In der Fahrerkabine stinkt es nach Abgasen und Öl.

Auf halber Strecke macht Hector Romero an einer Kneipe halt. Er parkt den vollbeladenen Lkw mitten auf der Straße, weil sonst kein Platz ist. Aber hier fahren ohnehin keine Autos. Die Kneipe unterscheidet sich von den übrigen Hütten lediglich dadurch, daß ein winziges Coca-Cola-Schild an die dunklen Bretter genagelt wurde. Drinnen bedient eine dicke Frau hinter einer notdürftig zusammengezimmerten Theke. Es gibt abgepackte Nudeln, Thunfischdosen, Bier und Inca-Kola, das Nationalgetränk Perus, eine neongelbe Limonade, die nach aufgelösten Gummibärchen schmeckt. Hector Romero bestellt eine Inca-Kola und lehnt sich an die Wand.

„Wenn du hier in der Gegend unterwegs bist, wirst du öfter mal von der MRTA angehalten, wenn sie eine Straße sperren“, erzählt er. Dann heißt es aussteigen, und alle Reisenden müssen sich Reden über den Zustand des Landes und die Revolution anhören „Sie fragen danach dann, was wir davon halten und wollen mit uns ins Gespräch kommen. Sie hören einem auch zu und antworten.“ Und wer bei solchen Straßensperren die Revolutionssteuer entrichtet, entscheiden die Leute selbst. Sie ist freiwillig. „Die MRTA ist keine Diebesbande“, sagt der Unternehmer, dem beide Schneidezähne fehlen, ehe er lange an seinem Strohhalm saugt und zwei Gänsen hinterherguckt, die vor der Kneipe herumlaufen. „Nur einmal haben sie bei mir was geklaut“, erinnert er sich. „Da hatte ich Kisten mit Brathühnern geladen, die haben sie mitgenommen.“

Wenn die MRTA von ihren Straßensperren zurückkommt, hat sie in der Regel etwas für die Bauern in den abgelegenen Gebieten mit im Gepäck. „Sie bringen uns nach ihren Überfällen oft Lebensmittel vorbei“, erzählt Luis Camarila mit einem Grinsen. Aber manchmal, wenn sie selbst nichts mehr haben, kommen sie auch und bitten uns, ihnen was zu geben.“ Die Campesinos haben sich mit der MRTA arrangiert. „Die MRTAler sind nicht wie der Leuchtende Pfad, der Campesinos umbringt“, sagt Luis Camarila. Doch eine Angst bleibt. Wenn das Militär herauskriegt, daß die MRTA hier war, oder gar, daß wir ihnen zu essen gegeben haben, sind wir dran.“ Im schmutzigen Krieg bringt die Armee dann die Campesinos um.

Ansonsten kassiert die MRTA ihre Revolutionssteuern von Unternehmern in der Gegend – in diesem Fall nicht freiwillig. Bis vor kurzen haben alle Firmen, die im nahegelegenen Villa Rica mit Kaffeeanbau zu tun hatten, die Coupons der MRTA bezahlt. „Das schlimme dabei sind die vielen Trittbrettfahrer“, ärgert sich Elisa Gutiérrez, Lehrerin an der weiterführenden Schule von Oxapampa. „Viele tun hier so, als gehörten sie zur MRTA – und in Wirklichkeit sind sie nur gewöhnliche Kriminelle, die sich als MRTA ausgeben und abkassieren wollen“, ärgert sie sich. Doch sei auch mit der MRTA „niemand einverstanden. Vor allem die Entführungen sind eine schlimme Sache. Da mußten manche ihre ganze Firma verkaufen, um ihre Angehörigen auszulösen.“

Santiago Quispe, ein landloser Campesino vom Ortsrand von Oxapampa, faßt es in der klassischen Kompromißformel zusammen: „Es gibt gute und schlechte Seiten der MRTA. Die schlechte sind die Entführungen, die gute, daß sie gegen die Ungerechtigkeit kämpfen.“ Das Land, auf dem seine Hütte steht, wurde vor kurzem verkauft. Obwohl der alte Eigentümer Quispe und seiner Frau zugesagt hatte, daß sie danach noch mindestens ein Jahr weiter dort wohnen können, müssen sie jetzt Ende Februar das Gelände verlassen. Sie wissen nicht wohin. „Wir haben kein Geld, um uns ein eigenes Stück Land mit einem Haus zu kaufen“, bedauert Quispe. Sie haben zwar ein Angebot, aber sie wissen nicht, woher sie die 2.500 Soles nehmen sollen, rund 1.000 US-Dollar. „Mit dem, was wir anbauen, kommen wir gerade so über die Runden“, schildert er. Immerhin gilt es sieben Kinder zu versorgen. „Aber alle gehen zur Schule“, darauf legt er wert, „denn das ist gerade mein Problem, das ich keine Ausbildung habe“, meint er und kratzt sich im zerwühlten Haar.

Die 8.000-Einwohner-Stadt Oxapampa lebt vom Rocoto-Anbau der Bauern und dem Koka- Anbau. Zwar wird in der näheren Umgebung kaum Koka gepflanzt, doch muß die Koka-Paste durch Oxapampa hindurch. Und wenn der Handel mit Rocoto und Koka gut läuft, geben die Bauern ihr Geld in der Stadt aus. Doch seit einiger Zeit liegt der Koka-Handel darnieder, und bei Rocoto sind die Preise wegen der Überproduktion gesunken – nicht nur für Luis Camarila eine Frage der Existenz. „An manchen Tagen haben wir nur die Milch zum Trinken, ansonsten gibt es nichts.“ Außer Rocoto baut er in dem unebenen Gelände nichts an. Zwar gibt es wilde Erdbeeren und eine Quelle auf seinem Grundstück, aber wenn der Erlös für Rocoto schlecht ausfällt, wird es schwierig. „Mehr Geld als zum Überleben haben wir nicht. Es bleibt nichts übrig.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen