: Erschossen, um den Geschäftsbetrieb zu stören
■ In Augsburg steht seit gestern ein 29jähriger Schwabe vor Gericht, der Kopf der mörderischen Disco-Mafia gewesen sein soll. Verhandlung auf 29 Tage geplant
Augsburg (taz) – Brutaler geht es fast nicht mehr. Da wird ein 16jähriges Mädchen kaltblütig erschossen, nur um eine Diskothek in Verruf zu bringen. Zwei „Geschäftspartner“ werden ebenso brutal ermordet und anschließend einbetoniert. Diskotheken in Sachsen und anderswo werden angezündet, um Versicherungssummen zu kassieren; gleich serienweise werden Entführungen geplant. Die Rede ist von der schwäbischen Disco-Mafia, deren Hauptangeklagter seit gestern in Augsburg vor Gericht steht.
Zur Vorgeschichte: Am 28. August 1993, kurz vor Mitternacht, tritt die 16jährige Christine G. vor die Tür ihrer Lieblingsdisco „Supermäx“. Auf einer Straße gegenüber parkt ein Auto. In diesem Auto suchen zwei Killer eine gute Schußposition. Als sich Christine an das Verandageländer lehnt, fällt ein Schuß. Das Mädchen wird ins Herz getroffen und stirbt. Die Täter flüchten.
Ihr Opfer haben sie sich willkürlich ausgesucht, sagt der Chef der Augsburger Staatsanwaltschaft, Jörg Hillinger: „Dieses Mädchen, das eine Disco in Dasing besucht hat, wurde mutwillig erschossen, weil die Tätergruppe das Geschäft dieser gutgehenden Disco zum Erliegen bringen wollte.“
Die berüchtigte „Schwäbische Disco-Mafia“ hatte einmal mehr zugeschlagen. Doch dieser Fall hatte, mehr als alle anderen zuvor, Trauer, Wut und Empörung ausgelöst. Willkürlich jemanden ermorden, um eine gutgehende Disco zu schädigen! Doch dies war nur einer von drei Morden, nur eine von ungezählten Straftaten, die dieser Bande zur Last gelegt werden.
Der mutmaßliche Kopf dieser Disco-Mafia, ein 29jähriger Schwabe, hat sich nun vor seinen Augsburger Richtern zu verantworten. „Der Mann ist dadurch aufgefallen, daß er zahlreiche Diskotheken gekauft hat. Nachdem das Geschäft nicht lief, wurden diese Diskotheken wieder veräußert. Dann ist man dazu übergegangen, diese Discos abzufackeln, um die Versicherungssumme zu kassieren“, sagt Oberstaatsanwalt Hillinger.
Allein bei einer Diskothek in Sachsen sollten vier Millionen Mark Versicherungsprämie kassiert werden. Bei der Polizei wurde eigens zur Aufklärung der Fälle eine spezielle Ermittlergruppe gebildet. Doch der Prozeß dürfte nicht ganz einfach werden, kann doch nur auf Grundlage von Indizien verhandelt werden.
Laut Zeugenaussagen war der Hauptangeklagte Michael Sch. bei den ihm zur Last gelegten Morden nicht am Tatort. Der Mittäter und Anstifter Sarhan alias Taramelli hat sich vor knapp zwei Jahren im Straubinger Gefängnis erhängt. Michael Sch. schiebt die Hauptschuld auf den Toten.
Trotzdem glaubt die Staatsanwaltschaft, dem 29jährigen die Erpressungen, Brandstiftungen und Morde ebenso nachweisen zu können wie mehrere versuchte Entführungen. Ein Hähnchenbrater und ein sogenannter Automatenkönig aus dem Dunstkreis der Disco-Mafia waren ebenfalls brutal ermordet worden. Der eine – „der Automatenkönig“ – wurde laut Staatsanwalt während einer Autofahrt erwürgt und anschließend im Wald vergraben, das Grab danach mit Beton übergossen.
Durch einen Kopfschuß starb der Hähnchenbrater. Auch er endete im Beton, den später in mühseliger Kleinarbeit Polizeibeamte wieder herausklopfen mußten. Dieses Betongrab in einem Pumpenhäuschen an einem Baggersee war übrigens noch zu Lebzeiten des Opfers gebuddelt worden.
Der Mammutprozeß ist auf 29 Tage angesetzt, über 100 Zeugen sind geladen. Klaus Wittmann
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