piwik no script img

Aber die Wurst bleibt deutsch

MigrantInnen in die Bürgerschaft: Aufräumen bei der „Ausländerpolitik“  ■ Von Silke Mertins

Mahmut Erdem ist ein passionierter Frühaufsteher. Das ist sein Glück, denn sonst könnte der einzige türkisch- und kurdischsprachige Rechtsanwalt in Hamburg die Aktenberge auf seinem Schreibtisch – vom Abschiebefall bis zur Mietklage – gar nicht bewältigen.

Gern lehnt der 33jährige sich auf seinem Schreibtischstuhl zurück, wirft sinnierend einen Blick aus dem Fenster seiner Kanzlei in der Karolinenstraße und schwärmt von seiner Arbeit. Oder seiner kleinen Tochter. Oder seiner Lieblingsschauspielerin Gudrun Landgrebe. Oder davon, wie er als GAL-Deputierter in der Innenbehörde dem Staatsrat Wolfgang Prill mit penetranten Fragen auf die Nerven geht.

Gar nicht ins Schwärmen gerät er allerdings, wenn er an die Hamburger Bürgerschaft denkt. „Alle Bevölkerungsschichten müssen im Parlament vertreten sein – das ist mein Verständnis von Demokratie.“ Doch wann immer „das Ausländerproblem“ in der Bürgerschaft debattiert wird, kommt kein einziger Migrant zu Wort. Bei der GAL nicht, weil sie ebenso wie CDU und Statt Partei keinen haben. Bei der SPD nicht, weil sie ihren einzigen Migranten, Hakki Keskin, nicht reden läßt.

Diese Stellvertreterpolitik sei eine „Entmündigung“, sagt Erdem kurz und knapp. Jetzt will der Realo selbst für die GAL in die Bürgerschaft einziehen. Daß er einen Platz unter den sicheren ersten zehn auf der noch geheimen Kandidatenliste bekommt, gilt als sicher. Trotzdem könnte Erdem auch bei der GAL schnell zum Alibi-Migranten werden. Das Bemühen der Fraktions-Linken, eine junge Spanierin aufzustellen, scheiterte an der fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft.

Doch Feigenblatt hin oder her: Im Falle rot-grüner Verhandlungen wird man mit Erdem rechnen müssen. Eine „völlige Umstrukturierung“ der Ausländerbehörde schwebt ihm vor. Der Alptraum jedes Migranten solle zur dienstleistungsorientierten „Vorzeigebehörde“ werden. Bei Abschiebungen möchte Erdem alle landespolitischen Spielräume genutzt wissen.

Anti-Diskriminierung soll zu einem Thema werden, an dem keine Schule, keine Uni und kein öffentlicher Dienst mehr vorbei kommt. Ziele, die auch der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Hakki Keskin ähnlich formuliert. Doch daß der Politik-Professor, der außerdem der Türkischen Gemeinde in Deutschland vorsitzt, noch einmal antritt, ist äußerst unwahrscheinlich. Zu sehr mußte er sich von den Genossen für seine zivilcouragierten Auftritte demütigen lassen. Der Bericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Polizei „marginalisiert und verharmlost rechtsradikale Tendenzen“, befand Keskin etwa im vergangenen November. Das nahm ihm seine Fraktion besonders übel.

Dabei will die SPD theoretisch Migranten integrieren, schon aus wahltaktischen Gründen. „Warum soll eine Partei nicht Wähler haben wollen?“ fragt Olaf Scholz, SPD-Chef in Altona und im Landesvorstand zuständig für Migrationspolitik. „Fest steht, daß es einen Migranten in der Bürgerschaft geben wird.“ Doch wer? Jemanden aus der zweiten Generation, wünscht sich die SPD. Es darf ein Türke, aber kein Kurde sein. Damit hat Hüsnye Ergün, ebenfalls Mitglied im SPD-Landesvorstand, schon mal schlechte Karten: Sie ist kurdischer Herkunft. Gefragt wurde die 35jährige Sozialökonomin ohnehin noch nicht. Eine Kandidatur, sagt sie, „müßte ich mir gut überlegen.“ Den Umgang der SPD mit Migranten in der Partei „finde ich nicht gerade demokratisch“. Als Vorzeigeobjekt würde sie sich jedenfalls nicht mißbrauchen lassen. „Ich lasse mich nicht instrumentalisieren.“

Inzwischen haben sogar die Christdemokraten die Migranten entdeckt. „Hier und da wird ernsthaft darüber nachgedacht“, plaudert CDU-Geschäftsführer Wulf Brocke. Es gebe „Kontakt zu türkischen Gruppen“, so Brocke, „wir sind schon weiter als bei der letzten Wahl.“ Und weiter als die FDP. Denn die hat über KandidatInnen für die Bürgerschaft keinerlei Überblick. „Jeder einzelne Platz wird umkämpft“, sagt Parteichef Frank-Michael Wiegand. „Zwischen Liberalität und Anarchie ist manchmal nur ein schmaler Grad.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen