: Die Unschuld kostet Millionen
■ Im Zivilprozeß wird O.J. Simpson wegen Mordes zu Schadensersatzzahlung verurteilt - ins Gefängnis muß der strafrechtlich Freigesprochene dennoch nicht
Santa Monica (AFP/wps/taz) – Die mehrheitlich schwarze Jury im Strafprozeß hatte ihn freigesprochen, die mehrheitlich weiße Jury im Zivilprozeß hingegen verurteilte ihn: Ex-Footballstar O.J. Simpson muß 8,5 Millionen Dollar Schadensersatz an die Familie des ermordeten Ronald Goldman zahlen. Er sei, befand das Gericht, verantwortlich für die Ermordung Goldmans und Simpsons Exehefrau Nicole Brown Simpson im Juni 1994. Nun muß Simpson zwar zahlen – ins Gefängnis jedoch kommt er nicht. Im November 1995 war Simpson als wegen Mordes Angeklagter im Strafprozeß von den Geschworenen für nicht schuldig befunden worden. Trotz des abweichenden Urteils im Zivilprozeß kann Simpson nach den Regeln der US-Justiz für dasselbe Vergehen nicht zweimal strafrechtlich verfolgt werden.
In diesem zweiten Prozeß, in dem die Geschworenen erneut 112 Zeugen anhörten und 700 Beweisstücke sichteten – darunter erneut die Fotos, die Simpson mit Schuhen jener Marke zeigen, deren Abdrücke auch in den Blutspuren am Tatort hinterlassen wurden – war sich die Jury einig: Einstimmig entschied sie, Simpson zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen. Allerdings hatten die Geschworenen in diesem Fall auch nicht zu beurteilen, ob Simpson „jenseits jeden begründeten Zweifels“ schuldig ist. Es genügte, daß neun von zwölf Geschworenen die Schuld des Angeklagten für „wahrscheinlich“ hielten. Und Simpson, der während des Strafprozesses keinerlei Aussagen gemacht hatte, mußte sich bei diesem Prozeß zu den Vorwürfen äußern.
US-Präsident Bill Clinton, der gerade vor dem Kongreß seine Rede zur Lage der Nation hielt, als in Santa Monica das Urteil verkündet wurde, rief alle US-BürgerInnen dazu auf, das Verdikt zu akzeptieren. Auch der Bürgermeister von Los Angeles rief zur Ruhe auf. Weil Unruhen befürchtet wurden, befand sich die Polizei in Alarmbereitschaft.
Tatsächlich reagierte die US-Öffentlichkeit ähnlich gespalten wie bei der Verkündung des Freispruches vor sechzehn Monaten. Damals hatte eine mit acht Schwarzen besetzte Jury den schwarzen Ex-Footballstar vom Vorwurf des Mordes an zwei Weißen freigesprochen – und die schwarzen Communities in den USA jubelten, während die meisten Weißen empört reagierten. Diesmal ist es umgekehrt. „Sie wollten irgendwas finden, um ihn dranzukriegen, und sie haben's gefunden“, sagt der 63jährige Frank Holoman, ein schwarzer Café-Besitzer aus Los Angeles. „Wir Schwarzen müssen normalerweise immer die Urteile mehrheitlich weißer Jurys akzeptieren – selbst wenn völlig Unschuldige ins Gefängnis gesteckt werden. Wir hätten das erste Urteil in jedem Fall akzeptieren müssen. Aber das weiße Amerika war dazu nicht bereit.“
Ganz anders freilich die Reaktion der Angehörigen des ermordeten Ronald Goldman. Sein Vater Fred Goldman sagte nach der Urteilsverkündung, zweieinhalb Jahre nach dem Tod seines Sohnes habe die Gerechtigkeit doch noch gesiegt. „Du Mörder!!“ rief Ronalds Schwester Kim Goldman noch im Gerichtssaal, nachdem Richter Clerk Erin Kenny die Antwort der Geschworenen verlesen hatte. Simpson verzog keine Miene, hielt den Blick unbewegt nach vorn gerichtet.
Der Urteilsspruch war nur der erste in einer ganzen Reihe zivilrechtlicher Forderungen der Hinterbliebenen an Simpson, die ihn insgesamt weitere 2,5 Millionen Dollar kosten könnten. Das Sorgerecht für die beiden Kinder aus seiner Ehe mit Nicole Brown allerdings, das Simpson im Dezember zugesprochen wurde, wird ihm trotz des Urteils nicht wieder entzogen werden, vermuten Rechtsexperten. Freunde sagen, Simpson werde jetzt noch mehr Zeit mit der elfjährigen Sydney und dem achtjährigen Justin verbringen – auch wenn seine ehemaligen Schwiegereltern erneut versuchen werden, ihm das Sorgerecht zu entziehen. pkt
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