Eisen-Dieters letzte Grätsche

■ Mit etwas Glück hätte er eine Karriere wie Jürgen Kohler machen können, sagt Fußballprofi Schlindwein. St. Pauli glaubt aber längst nicht mehr an seinen härtesten Mann

Hamburg (taz) – Seinen roten Porsche fährt Dieter Schlindwein nicht mehr. Er hat jetzt einen blauen. „Der ist nur geleast“, sagt der Noch-Profi des FC St. Pauli. „Ich bin ja kein Millionär.“ Am Hungertuch nagt Schlindwein aber auch nicht. Sein goldenes Halskettchen mußte der Junggeselle mit dem stets gesunden Teint bislang noch nicht versetzen. Gute 200.000 Mark Jahresgage kassiert der gebürtige Karlsdorfer („da kommt auch Anke Huber her“) am Millerntor – fürs Nichtstun, wie manch einer findet. „Da kann ich das Geld auch gleich in die Elbe schmeißen“, verfluchte Manager Helmut Schulte unlängst den Paragraphen 11. Der hatte es dem Spieler ermöglicht, dem FC St. Pauli trotz dessen Desinteresse seine Arbeitskraft ein weiteres Jahr zur Verfügung zu stellen.

Schlindwein ist totes Kapital, seit Trainer Uli Maslo ihn vor zehn Monaten kaltgestellt hat. Ins Trainingslager nach Katar durfte „Schlindi“ jüngst nicht mit. Offizielle Begründung: „Zu teuer.“ Schlindwein will mitspielen, aber das interessiert den gestrengen Übungsleiter nicht. Schlindwein weiß, was das heißt: „Ich werde wohl am Saisonende aufhören.“

Am 16. März vergangenen Jahres absolvierte der Manndecker das vermutlich letzte Pflichtspiel seiner Karriere: Nach 25 Minuten war sein Auftritt damals vorbei. Vielleicht war es die Frühjahrsmüdigkeit, vielleicht auch Unbeholfenheit. Auf jeden Fall ging Gladbachs Stürmer Jörgen Pettersson irgendwann zu Boden, und Schlindwein kam neben dem Schweden zum Liegen. Als der Routinier wieder stand, hielt Schiedsrichter Lutz Wagner schon die rote Karte in der Hand. Notbremse, aus und vorbei. Schlindwein trottete vom Platz. Wahrscheinlich hat er schon damals geahnt, daß dies sein persönliches Finale sein würde. Zugeben mag er es aber nicht. „Es war ein unglücklicher Zusammenprall, er ist mit seinen Stollen in meinen Schnürbändern hängengeblieben.“

Nun ist am Ende Schlindwein der Leidende. Ihm tue es weh, „so aufzuhören“, sagt er: Stammplatz im Kuchenblock statt im Abwehrbollwerk. „Aber es gibt keine Einzelschicksale“, hat der Mann in 18 Jahren und 186 Bundesligabegegnungen als Berufsspieler bei Mannheim, Bremen, Frankfurt und St. Pauli erfahren: „Für Menschlichkeit ist kein Platz.“ Auch nicht beim etwas anderen Bundesligaklub, sagt er.

In Hamburg lernte Schlindwein seit 1989 alle Facetten seines „Traumberufs“ kennen: vom umjubelten Kämpfer bis zur ausrangierten Defensivkraft. Schnell wurde der Olympia-Teilnehmer von Los Angeles zum Liebling der Millerntor-Massen. „Ich habe immer 100 Prozent gegeben“, sagt der ausgebildete Industriekaufmann. Den Fans imponierte seine Art zu spielen: allzeit grätschbereit, zweikampfstark und einsatzfreudig. „Auf dem Platz kenne ich keine Freundschaften, da will ich gewinnen“, lautet das Glaubensbekenntnis des „ehrlichen Arbeiters“ aus der „harten“ Waldhöfer Schule Klaus Schlappners.

Daß die St.-Pauli-Fans ihn „Eisen-Dieter“ tauften, ehrt ihn: „Ein Kompliment.“ Doch wie andere vor ihm mußte auch Schlindwein erleben, daß man denjenigen, die man am meisten liebt, am wenigsten verzeiht. Als er Anfang 1994 im Trainingslager mit seinem Mannschaftskameraden Leonardo Manzi aneinandergeriet und den Brasilianer als „schwarze Sau“ beschimpfte, war das Band der Sympathie zerschnitten.

Zwar entschuldigte sich Schlindwein bei Manzi und den erbosten Fans. Dennoch war dem robusten Kicker bei den Abstimmungen des Fanmagazins Der Übersteiger fortan der Titel „Unbeliebtester Spieler“ sicher. Den Kultstatus genießt „Schlindwurst“ seitdem nur noch in den „Pauli- Comics“ des Haus- und Hofzeichners Guido Schröter. Es bildete sich gar eine Große Koalition der sehr ungewöhnlichen Sorte. Denn auch Uli Maslo („Einsatz, Einsatz, Einsatz“), der im Juli 1994 Trainer wurde und alsbald bei den eigenen Anhängern unten durch war, wollte mit dem damaligen Mannschaftskapitän nichts am Hut haben. Weshalb, Herr Schlindwein? „Dazu gäbe es einiges zu erzählen, aber im Moment möchte ich nichts sagen.“

Ohne aufzumucken ließ es Schlindwein über sich ergehen, daß sein Coach ihn öffentlich demontierte. Selbst als diese Saison einmal die komplette Abwehr flachlag, nominierte Maslo lieber den fast gleichaltrigen Libero der Regionalliga-Amateure, als Schlindwein aus der Verbannung zu holen: „Er ist ein reiner Zerstörer, der nicht in mein offensives System paßt“, sagte Maslo.

Das Image des technikresistenten Kloppers haftete seit jeher so fest an Schlindwein wie der zumeist an seinen Gegenspielern. „Schlitzohrigkeit ist keine Unfairness“, kontert Schlindwein. Jemand, der wie er so lange als Profi auf höchstem Niveau gespielt habe, müsse mehr können. Den meisten fehlt der Glaube. Der ehemalige Gegenspieler Frank Mill behauptet noch heute, er habe sich in einem Zweikampf mit dem „Antifußballer schlechthin“ ein Schleudertrauma zugezogen.

Mill, „der größte Schwalbenkönig der letzten 20 Jahre“, solle bloß ruhig sein, entgegnet der gelernte Mittelfeldspieler: „Der hat ständig provoziert.“ Im übrigen habe er in seiner Profilaufbahn lediglich drei rote Karten erhalten, das sei „für einen Spieler auf meiner Position doch überraschend wenig“. Mit etwas Glück, sagt Schlindwein, hätte er eine ähnliche Karriere machen können wie Jürgen Kohler, sein Zimmerkollege aus Mannheimer Zeiten. „Ich bin dennoch zufrieden, es war eine schöne Zeit.“

Heute wird Dieter Schlindwein 36. Auf der St.-Pauli-Mitgliederversammlung am Abend wird es wohl keinen Toast geben. Die Zukunft? Im November hat er die Trainer-A-Lizenz erworben. „Vielleicht bleibe ich sogar bei St. Pauli.“ Er wolle weitergeben, was er gelernt habe, sagt er. Was das ist, mag Schlindwein nicht sagen: „Ich bin eher ein Praktiker.“ Rainer Schäfer/Clemens Gerlach