: Mögliche Brandursache: Geldgier
Fall Dolgenbrodt weitet sich aus: Haben Gemeindevertreter sich Grundstücke günstig unter den Nagel gerissen? Hätten Asylbewerber die Preise verdorben? Staatsanwaltschaft ermittelt ■ Von Annette Rogalla
Berlin (taz) – Längst geht es im Fall Dolgenbrodt nicht mehr nur darum, wer das Asylbewerberheim angezündet hat. Bei der Staatsanwaltschaft Potsdam läuft derzeit auch ein Verfahren, dessen Ergebnis erhellen könnte, ob tiefere Absichten hinter dem Brand stecken. Möglicherweise wird deutlich werden, daß viele Dolgenbrodter ein Interesse daran hatten, das gerade fertig erstellte Flüchtlingsheim niederbrennen zu lassen – auch wenn sie selbst an der Tat nicht beteiligt gewesen sind. Die Rede könnte kommen auf Grundstücksgeschäfte im großen Stil.
Dolgenbrodt 1990: In der Verwaltung der Gemeinde befinden sich 600 Wochenendgrundstücke, die einst dem Großgrundbesitzer Specht gehörten. Der Mann war vor den Nazis nach Brasilien geflohen, er wurde danach enteignet. Die Dolgenbrodter sagen, dies sei erst 1946 gewesen. Der Sohn von Specht hingegen ist der Meinung, sein Vater sei von den Nazis enteignet worden. Deshalb stellt er einen Antrag auf Rückübertragung. Auf der Gemeinderatssitzung im Mai 1990 war man sich einig, solange es noch DDR-Geld gebe, müsse man sich die Grundstücke sichern, so die Berliner Zeitung Anfang dieser Woche.
Das Blatt recherchierte zudem, daß am 30. Mai 1990, einen Monat vor der Währungsunion, 18 Dolgenbrodter Kaufverträge über ihre bis dahin gepachteten Grundstücke unterschrieben – gekauft zu einem Spottpreis zwischen zwanzig und achtzig Pfennig pro Quadratmeter. Erworben wurden Grundstücke zwischen 416 und 2.313 Quadratmetern. Aber auch als die Westmark schon eingeführt war, konnte man in Dolgenbrodt noch günstig an Land kommen: Man mußte nur zu Ute Preißler gehen, damals Bürgermeisterin des Ortes. Sie unterzeichnete im April 1991 mit der Firma „Gesellschaft für Wohn- und Freizeitanlagen mbH“ (Gewo) einen Vertrag.
Die Gewo sollte für die Gemeinde Flächennutzungspläne und ein Bebauungskonzept erarbeiten. Im Gegenzug erhielt die Firma eine Kaufoption auf Grundstücke – auch für jenes, auf dem ein Jahr später das Asylbewerberheim entstehen sollte. Eine Million Mark soll Gewo-Inhaber Lothar Pötschke geboten haben. Auf dem Areal wollte er eine Reha-Kinik errichten.
Eine lukrative Aussicht für Dolgenbrodt. Und ein gutes Geschäft für Ute Preißler. Denn sie soll eine Provision von 15 bis 40 Pfennig pro Quadratmeter eingestrichen haben. Weil sie sich auch in anderen Dörfern umtriebig zeigte, soll ihr der Sohn des Immobilienhändlers zudem ein Auto geschenkt haben.
Der nachfolgende 20. Oktober 1992 wurde dann ihr schwarzer Tag. Mit Vizelandrat Munkow stand sie vor dem ehemaligen Kinderferienlager, in das auf einige Monate Asylbewerber einquartiert werden sollten. Bürgermeisterin Preißler habe vehement dagegen gesprochen, erinnert sich Munkow noch heute. Weil sie ihre Felle davonschwimmen sah?
Heute arbeitet Ute Prießler im Amt von Friedersdorf. Sie selbst konnte sich gestern nicht zum Vorwurf der Begünstigung im Amt äußern. Sie ist im Urlaub. Ihr Chef, Verwaltungsdirektor Friedrich- Wilhelm Thiede, legt jedoch seine Hand für sie ins Feuer. „An den Mutmaßungen ist nichts dran“, sagte er zur taz. „Nach Aktenlage läßt sich nicht prüfen, daß sie in Grundstücksgeschäften verwickelt ist.“ Er selbst habe sich davon überzeugt, daß ihr das Auto von Pötschke mitnichten geschenkt worden sei.
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