: Späte Ehre für Spurensucher
■ Kino 46 zeigt Dokumentarfilm über Simon Wiesenthal
Auschwitz! Eine Lüge? Was fällt denn diesem plappernden Taxifahrer ein, denkt sich die junge Frau in der Spielfilmszene und hat den Fahrer längst mit harten Fakten mundtot gemacht. Subjektiver kann man einen Dokumentarfilm über Simon Wiesenthal nicht beginnen. Ein Dokumentarfilm über den Mann, der die „Information als Abwehr“ zur Maxime seines Schaffens erklärte. In „Die Kunst des Erinnerns – Simon Wiesenthal“ zeichnen die FilmemacherInnen Johanna Heer und Werner Schmiedel diese Maxime so akribisch nach, daß Wiesenthal zum 99sten mal sagen darf: „Schauen Sie mal...“
Wiesenthal, der in Buczacz (Galizien) geboren wurde und vier Jahre im Konzentrationslager Mauthausen bei Linz inhaftiert war, gefällt sich in der Rolle des Lehrenden. Denn der 88jährige Gläubige lebt nach strengen orthodoxen Regeln. „Gerechtigkeit statt Rache“ ist das Hauptgebot bei seiner Spurensuche nach den Mördern – um ihnen einen ordentlichen Prozeß zu machen.
Zwei Fälle, die Wiesenthal maßgeblich aufklärte, stehen im Mittelpunkt der Dokumentation: Der SS-Hauptscharführer Adolf Eichmann und der Mann, der Anne Frank verhaftete. Ehre wurde Wiesenthal jedoch erst im Alter von 78 Jahren zuteil – von einer Politik, die Schuld leugnete und Wiesenthals Recherchen behinderte. Feinde warfen Wiesenthal „Privatjustiz“ vor: Seit 1955 wurde in Österreich fast jeglicher NS-Prozess verhindert, weil das Land sich einer „Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen“ verweigerte.
Grausige KZ-Bilder gehen in Wiener Straßenzüge über, Filmmusik steigert die Dramatik – immer wieder holen Heer und Schmiedler das Erfahrene in die Realität. Blaue oder grüne Farbstreifen kämpfen gegen das Vergessen an. Subjektives Flackern. Gespickt mit jüdischen Moralvorstellungen sowie orthodoxen Lebensweisheiten des gelernten Architekt Wiesenthal, dem Bauingenieur und Intellektuellen.
Wiesenthal sitzt in der letzten Filmsequenz vor einer Gruppe Jugendlicher und erzählt die Geschichte eines Bruders, der seine Schwester verloren hat: „Und sie schrieb ihm: –Vergeßt uns nicht und nicht unsere Mörder–. Schauen Sie“, sagt Wiesenthal, „diesen letzten Willen habe ich mir zu eigen gemacht.“ Wiesenthal, der Humanist, der die nachfolgenden Generationen die richtige „Kunst des Erinnerns“ lehren darf. Und ein Dokumentarfilm, der selbst zum Lehrmittel geworden ist. kat
„Kunst des Erinnerns“: Sonntag, 20.30 Uhr im Kino 46 . Die FilmemacherInnen sind anwesend.
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