: Operation mißlungen, Patient lebt
■ Geliebt, umkämpft, besetzt: Ist das Hafenkrankenhaus noch zu retten? Wenn ja, wie? Senator Thomas Mirow (SPD) und Sybille Marth von „Ein Stadtteil steht auf“ im taz-Streitgespräch
taz: Kann St. Pauli die Schließung des Hafenkrankenhauses verkraften?
Thomas Mirow: Der Stadtteil ist viel kräftiger, als er in den vergangenen Wochen dargestellt wurde. Medizinisch entsteht mit der Schließung keine Unterversorgung. Unter der Berücksichtigung der Besonderheiten des Stadtteils hat der Senat eine politische Entscheidung für den Erhalt der Ambulanz an diesem Standort getroffen.
Sybille Marth: Wir brauchen keine Heftpflasterambulanz. Das Hafenkrankenhaus war immer gut ausgelastet. Die St. Paulianer mit ihren vielfältigen Problemen brauchen diesen Anlaufpunkt. Daran führt kein Weg vorbei. Wir haben ein Konzept auf den Tisch gelegt, das Sie prüfen wollten.
Mirow: Das tun wir auch. Aber klar ist: Es dürfen keine zusätzlichen Kosten entstehen. Wir können kein Geld ausgeben, das wir nicht haben.
taz: Wie soll der Runde Tisch zusammenfinden? Sie, Herr Mirow, sollen als Verhandlungsführer für die Gesundheitssenatorin die Kastanien aus dem Feuer holen. Doch mit welchen Kompetenzen sind Sie vom Senat ausgestattet worden?
Mirow: Ich brauche zunächst Reaktionen aus dem Stadtteil auf das Angebot eines Forums. Mit besonderen Kompetenzen bin ich nicht ausgestattet.
Marth: Unsere Vorstellung von einer Nutzung des Hafenkrankenhauses kann nur umgesetzt werden, wenn es erhalten bleibt. Nur dann machen die angebundenen Einrichtungen wie psychiatrische Krisenintervention, Altenpflege oder Angebote für Obdachlose überhaupt einen Sinn. Wenn das unsere Verhandlungsgrundlage ist, können wir blitzartig eine Lösung finden. An einem schäbigen Rest haben wir kein Interesse.
Mirow: Im Augenblick wird abschließend geklärt, wie die Ambulanz ausgestattet wird; also wieviele Betten, welches Gebäude, wieviel Personal. Das sollte man erst einmal kennen bevor man urteilt.
taz: Soll das bedeuten, daß Sie, Herr Mirow, einen Kompromiß aushandeln, den Gesundheitssenatorin Helgrit Fischer-Menzel dann noch absegnen muß?
Mirow: Nein. Ich bin kein Staatskommissar oder freischaffender Künstler, sondern der Erste Bürgermeister hat mich gebeten, Gespräche zu führen. Für den Fall, daß eine Beschlußlage geändert werden müßte – ich sage das im Konjunktiv –, würde ich den Senat damit befassen.
Marth: Das wird die Situation vor Ort sicher nicht entschärfen. Wenn die Rettungswagen unsere Klinik schon jetzt nicht mehr anfahren dürfen, kommt das einer faktischen Schließung gleich. Das ist keine Verhandlungsbasis. Im Hafenkrankenhaus stehen das Personal herum und die Räume leer, während anderswo bereits wegen der Überlastung Notbetten aufgestellt werden. Wenn der Senat meint, das sei sinnvoll ...
Mirow: Nicht der Senat, sondern das ärztliche Direktorium hat entschieden, daß wegen der Besetzung keine Verantwortung für Neuaufnahmen von Patienten übernommen werden kann.
Marth: Das galt für einen Tag!
Mirow: Nein, sobald die Besetzung beendet wird, kann eine ambulante Versorgung von Patienten übernommen werden.
taz: Wie soll es weitergehen? Worauf wartet der Senat?
Mirow: Wir haben klar gesagt, wir stehen für Gespräche mit Interessenvertretern des Stadtteils zur Verfügung. Die Schließung des Krankenhauses steht fest.
Marth: Wenn die Schließung kein Gesprächsthema ist, wird die Besetzung intensiviert werden.
Mirow: Man kann über ergänzende Nutzung zur Ambulanz diskutieren. Der Vorschlag eines Gesundheitszentrums auf der Basis eines Krankenhauses wird zu keiner Lösung führen.
taz: Wenn es keine Einigung gibt, wird der Senat das Hafenkrankenhaus räumen lassen?
Mirow: Ob man über eine Brücke geht, entscheidet man, wenn man dort angekommen ist.
taz: Der Knackpunkt ist die Bettenfrage. Derzeit sind es 203 Betten. Die Vorstellungen für die Zukunft schwanken zwischen 10 und 160. Wo liegt Ihre jeweilige Schmerzgrenze? 80 Betten?
Mirow: Diese Größenordnung ist weit jenseits dessen, was ambulante Versorgung bedeutet.
Marth: Die Zahl 160 ist uns vom zuständigen Landesbetrieb Krankenhäuser als betriebswirtschaftlich notwendiges Minimum genannt worden. So steht es auch im Krankenhausplan.
Mirow: Das war aber bevor die Kassen dem Landesbetrieb Krankenhäuser auferlegt haben, zusätzlich 200 Millionen einzusparen. Das ist so, als wenn Sie 4000 Mark verdienen und im Oktober erfahren, daß sie rückwirkend zum Januar 500 Mark jeden Monat weniger bekommen. Dann sind alle Ihre Pläne über den Haufen geworfen.
Marth: Wenn ich erfahre, ich muß mit weniger Geld auskommen, dann frage ich nicht meine Nachbarin, was ich machen soll, sondern die Familienmitglieder. Und dieser Punkt macht uns ja auch so wütend: daß Sie nicht die St. Paulianer, nicht den medizinischen Sachverstand, nicht den Stadtteil angehört haben. Behördenmitarbeiter am Grünen Tisch rechnen herum und wollen die Rechnung über die Köpfe der Betroffenen hinweg machen.
taz: Was hat sich die SPD im Zusammenhang mit dem Hafenkrankenhaus vorzuwerfen?
Mirow: Die SPD hat sich gar nichts vorzuwerfen, sondern der Senat. Er ist mit einer für ihn überraschend eingetretenen Situation kommunikativ nicht gut genug umgegangen ist. Das heißt: Es ist uns nicht gelungen, der Öffentlichkeit die Dramatik der Budgetkürzung aufzuzeigen und gleichzeitig klar zu machen, daß die ambulante Versorgung gewährleistet bleibt.
Marth: Nicht nur die Kommunikation hat nicht stattgefunden, auch der gesundheitliche Aspekt ist zu kurz gekommen. Der Stadtteil, seine Bewohner und ihre Bedürfnisse haben bei den Rechenspielen und Einspar-Szenarien keine Rolle gespielt. Moderation: Lisa Schönemann / Silke Mertins
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