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„Notwehrrecht mißbraucht“

■ Interview mit Georg Debler, Nebenklageanwalt im Stader Prozeß gegen Winfried Sch., der den Gambier Kolong Jamba erstochen hatte

Im Dezember 1993 erstach Winfried Sch. im Zug zwischen Hamburg und Buchholz den Gambier Kolong Jamba. Das Landgericht Stade sprach ihn im April 1995 frei: Notwehr. Der Bundesgerichtshof (BHG) wies den Fall an das Landgericht zur erneuten Verhandlung zurück. Heute beginnen die Plädoyers.

taz: Winfried Sch. bleibt bei seiner Aussage, er habe Kolong Jamba in Notwehr erstochen. Ist dies eine bloße Neuinszenierung des ersten Prozesses?

Georg Debler: Die Zeugen haben diesmal noch deutlicher gesagt, daß keine Notwehrsituation vorlag. Winfried Sch. hatte erzählt, er habe auf dem Sitz gelegen, als der Afrikaner sich auf ihn stürzte. Ein Zeuge sah dies anders: Winfried Sch. sei aufgesprungen, als Jamba sich auf ihn zubewegte. Ein anderer Zeuge hörte „He is killing me“ und sah Jamba zusammengekauert in seinem Sitz.

Warum bewerteten Sie den ersten Prozeß als „rassistisch“?

Das Gericht tat die ausländerfeindlichen Äußerungen von Winfried Sch. als Dahergerede ab. Dies, obwohl er Schwarzafrikaner als Bimbos bezeichnet und das ständige Tragen eines Messers damit begründet, daß er vor derartigen Leuten gewappnet sein müsse.

Staatsanwalt Hundt hatte seinerzeit die Notwehr-Version von Winfried Sch. überhaupt nicht hinterfragt. Bemühte er sich diesmal, die Widersprüche zu klären?

Damals stieg Hundt erstmals in die Befragung ein, als ein Schaffner aussagte, Jamba sei schwarz gefahren. Das interessierte ihn brennend. Da waren bereits der Angeklagte und andere Zeugen gehört worden. Diesmal zeigte Hundt deutlicher Interesse an der Tat.

Wurde die Person des Opfers auch diesmal diskreditiert?

Zumindest hat das Gericht jetzt nicht vermeintliche Straftaten des Verstorbenen in den Vordergrund gestellt. Kolong Jamba ist das Opfer, nicht Winfried Sch. Ich habe den Eindruck, auch das Gericht ist von der Schuld des Angeklagten überzeugt.

Deutet das Einkassieren des Freispruchs durch den BGH auf eine Verurteilung hin?

Das Gericht kann über die Einwände des BGH nicht hinwegsehen. Der BGH hatte Totschlag angenommen und Winfried Sch. attestiert, daß er sein Notwehrrecht mißbraucht habe.

Fragen: Elke Spanner

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