: Rußlandexperten und fremde Idiome Von Carola Rönneburg
Sprache ist die Mutter aller Mißverständnisse. Das weiß jeder, der als Kind mit Inbrunst „Auf dem Berge, da wehet der Wind, da scheuert Maria ihr Kind“ gesungen und sich dabei eine Art weihnachtliche Freiluftwaschung mit Babybadewanne und Alpenkulisse vorgestellt hat. Und wie oft schon habe ich im Restaurant „Salzundtabak“ laut und vernehmlich und mit richtiger Betonung eine Portion „Vitello tonnato“ bestellt, statt dessen aber ein Glas Cabernet erhalten?
Besonders schwierig wird es, wenn aus Kommunikation Konversation werden soll, dabei aber nur scheinbar die gleiche Sprache im Spiel ist. So habe ich bis vor kurzem kaum ein vernünftiges Wort mit einem mir flüchtig bekannten Rußlandexperten wechseln können, weil der Rußlandexperte aus Österreich stammt. Von dort hat er keinen Dialekt, sondern seltsame Laute mitgebracht; eine vollkommen eigene Sprache, die nur sein weitgereister Arbeitskollege, ein Aal- und Angelfachmann, in monatelanger Kleinarbeit entschlüsseln konnte. Angeblich haben die beiden wichtige Fragen zunächst auf russisch geklärt, bis das Ohr des Fischfängers so weit geschult war, daß es einfache Botschaften ins Hochdeutsche übertragen konnte. Und erst, seit dieser Simultandolmetscher, der auch noch die Gebärdensprache beherrscht, ein ständiger Begleiter des Rußlandexperten ist, kann ich kleinere Unterhaltungen mit dem Österreicher führen.
Es wäre schön, wenn es bei dieser Ausnahme bliebe. Zu befürchten ist jedoch, daß alles noch viel schlimmer kommt – die Mundart ist auf dem Vormarsch. Seit der sogenannten Wiedervereinigung hat man es nicht nur mit neuen Autokennzeichen zu tun, sondern auch mit ungewohnten Akzenten. Und da Nationalismus offiziell noch nicht in Mode ist, fängt man erst einmal klein an und propagiert regionale Heimatzugehörigkeit: ohne altbackene Trachtengruppen, aber mit Dialekt. Auch die Werbebranche hat sich darauf eingestellt und setzt zum Beispiel sächsische Waschpulververbraucherinnen und bayrische Schokoriegelvernichter ins Bild. Übertroffen wird diese Anbiederei nur noch durch den penetranten Einsatz norddeutscher Klänge. Bloß, daß die immer einen komischen Zusammenhang herstellen sollen, so zum Beispiel: „Ollso, das wehr echt die Häärde, wänn ich nach Hauuse komm un da is koin Maknumm im Küühlschrong...“
Das ist nicht lustig, auch wenn Süddeutsche darüber ins Kichern geraten. Überhaupt nicht. Als geborene Hamburgerin bestehe ich darauf: Norddeutsche sind nicht lustig. Wer Vokale dehnt, über den sp-itzen St-ein st-olpert oder von „Ousteroiern“ spricht, tut nichts anderes als die Bewohner Stuttgarts, die sich zur Begrüßung „Und? Wasch machschst?“ fragen: Er redet frei heraus, kann aber auch anders, was nicht jedem, insbesondere Rußlandexperten, gegeben ist.
Um abschließende Worte zu finden und der Belustigung über das norddeutsche Idiom ein für alle mal Einhalt zu gebieten, führe ich folgende Namen ins Feld: Helmut Schmidt, Heidi Kabel, Fips Asmussen, Fritz Fick, Carlo v. Tiedemann, Werner und Schleswig-Holstein. Alle anerkanntermaßen nicht lustig, sondern stocksteif, öde, humorlos und anstrengend. Ahns klor?
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