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Rinderwahn und Tiefflieger

■ Politischer Aschermittwoch mit Bauernprotest und Stammtischsprüchen. Rinder-Massenschlachtung gestoppt

Berlin/Memmingen (taz) – Durch die Hintertür schlich Theo Waigel gestern zum politischen Aschermittwoch in die Passauer Nibelungenhalle. Hunderte von Landwirten, die den CSU-Vorsitzenden mit Pfiffen und Buhrufen empfangen hatten, quittierten die Flucht mit dem Sprechchor: „Feige Sau!“ Unter dem Motto „Waigel& Co schlagen die Bauern k.o.“ protestierten sie gegen die „Vernichtungsstrategie“ der Europäischen Union und verlangten höhere Ausgleichszahlungen für die Schlachtung BSE-gefährdeter Rinder.

Was die Protestierenden noch nicht wußten: Das bayerische Gesundheits- und Sozialministerium hat den für gestern geplanten Beginn der Massenschlachtungen von Rindern englischer und schweizerischer Herkunft gestoppt. „Ich halte es für sinnvoll, zuerst die nun auch von Obergerichten vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Zulässigkeit der Tötungsanordnung abschließend zu klären“, sagte Gesundheitsministerin Barbara Stamm. Zu unterschiedlich seien die verschiedenen Gerichtsbeschlüsse. Mal wurden Eilanträge von Landwirten zurückgewiesen wie in München und Koblenz, mal wurde den Landwirten recht gegeben – wie jüngst in Lüneburg. Bayernweit sind 2.370 Rinder betroffen. Die Bescheide an die Bauern seien vorbereitet, aber noch nicht verschickt worden, erklärte der Leitende Veterinärdirektor der Bezirksregierung von Schwaben, Frank-Dieter Schultz.

In der Nibelungenhalle sang Theo Waigel derweil vor 7.500 Parteigenossen ein Loblied auf den Bonner Regierungschef: „Es gibt keinen besseren Kanzler als Helmut Kohl gerade in dieser schwierigen Zeit.“ Und weiter: „Wir kennen ihn als Kämpfer, als politischen Steher und als einen Mann, der sich seiner Verantwortung für das Gemeinwohl bewußt ist.“

Ganz anders sah dies erwartungsgemäß der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine im bayerischen Vilshofen. Kohl solle wegen „erwiesener Unfähigkeit“ abgewählt und „in die Wüste geschickt“ werden. Dem schloß sich Christine Scheel, Finanzexpertin von Bündnis 90/Die Grünen, an. Es müsse Schluß sein mit „Polit-Krokodilen“ wie Kohl, Waigel und Westerwelle, „denen das Wasser bis zum Hals steht, die aber immer noch das Maul aufreißen“. Der Bundesfinanzminister, so schoß sie gegen Waigel, sei „so blutleer, daß Dracula sich nachts umdrehen würde“.

Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber machte in Passau den absoluten Tiefflieger: „Wir wollen die Lufthoheit über den Stammtischen behalten.“ Leif Allendorf, Klaus Wittmann

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