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„Keine andere Wahl“

■ „Embrica Marcel“ verschlingt Millionen – und steht fast leer

Eine steife Brise rüttelt wieder einmal an den Planken des Wohnschiffes „Embrica Marcel“. Rund 500.000 Mark Miete zahlt die Stadt Bremen jeden Monat für die Unterbringung und Verpflegung männlicher Asylbewerber – doch viele Kabinen des Wohnschiffes im Gröpelinger Kohlenhafen stehen leer. Das geht aus einer jetzt veröffentlichten Antwort des Senats auf eine kleine Anfrage der CDU-Fraktion hervor.

408 Asylbewerber haben Platz auf dem Schiff – in den vergangenen drei Jahren sind im Schnitt allerdings nur 322 Asylbewerber dort untergebracht worden. Diese Unterbelegung hat die Stadt bisher rund vier Millionen Mark gekostet. Und es wird noch teurer: Die Zahl der Asylbewerber ist rückläufig. Zur Zeit leben nur noch 250 Männer auf dem Wohnschiff. Der Vertrag mit dem Vercharterer des Schiffes, der Firma Embricia Maritim Hotelschiffe, läuft noch bis zum August 1998 – solange muß Bremen die Pauschalmiete zahlen, egal wieviele Asylbewerber auf dem Schiff untergebracht sind.

Eine Entwicklung, die absehbar war. Zwei Monate nachdem das Schiff im August 1993 am Kohlenhafen festmachte, wurde das Asylrecht verschärft. Im Frühjahr 1993 stritt die Ampel-Koalition heftig über die Notwendigkeit des Schiffes. Die Grünen sahen angesichts der Gesetzesverschärfungen die Unterbelegung des Schiffes voraus. Die Fraktion konnte sich allerdings nicht gegen FDP und SPD durchsetzen.

Die damalige Sozialsenatorin Irmgard Gärtner bestand auf dem Schiff – sie fürchtete eine „Unterkuftsnot“ für Asylbewerber. Eine unbegründete Angst: Während 1992 noch 400 Asylbewerber im Monat nach Bremen kamen, waren es im August 1993 nur noch 200. Diese Zahlen machten selbst den Bund der Steuerzahler stutzig: Ob die Unterbelgung des Schiffes in Anbetracht der Gesetzesverschärfung nicht voraussehbar gewesen wäre, wollten die Wächter von Gärtner wissen. Die ex-Sozialsenatorin antwortete mit einem „entschiedenen Nein“. Derweil machten auch die Asylbewerber gegen die Bedingungen auf dem Schiff mobil und traten in den Hungerstreik. Genützt hat es ihnen nicht – das Schiff bleibt.

„Wir haben keine Möglichkeit aus dem Vertrag rauszukommen“, betonte Staatsrat Dr. Christoph Hoppensack gestern. „Das ist ein Thema, mit dem man leicht die Lufthohheit über die Stammtische erobern kann“, ärgert er. „Damals kamen 400 bis 500 Leute im Monat nach Bremen. Wir mußten Verträge zu Bedingungen unterschreiben, die einem heute noch den Blutdruck in die Höhe treiben können. Aber wir hatten keine andere Wahl.“

2.800 Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge leben derzeit in Bremen. 311 seien in Häusern untergebracht, die die Stadt von einem Zahnarzt angemietet habe – und zwar zu horrenden Preisen. Diese Häuser seien zum Teil in einem erbärmlichen Zustand. Hoppensack: „Dagegen ist das Schiff richtig gold.“ kes

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