piwik no script img

Praxisbezogenes Studieren

■ Von der Ausnahme zum Regelfall: Immer mehr Fachhochschüler haben das Abitur in der Tasche und werden von den Unternehmen umworben. Wirtschaftsverbände gründen sogar eigene Fachhochschulen

Studieren ohne den ganzen wissenschaftlichen Ballast, den man normalerweise büffeln muß; praxisnahes Lernen ohne allzuviel Theorie. So könnte man die Angebote der Fachhochschulen (FH) von denen der klassischen Universitäten abgrenzen. Als Königsweg zur Fachhochschule gilt dabei immer noch die Karriereleiter von der beruflichen Ausbildung über das Fachabitur bis hin zum anschließenden Studium an einer Fachhochschule.

Doch der klassische Weg wird zunehmend zur Ausnahme, wie Rolf Holtkamp vom Hochschul- Informations-Service (HIS) in Hannover feststellen konnte. Holtkamp erarbeitet zur Zeit eine Studie über den tatsächlichen Zugang der Studierenden zu den Fachhochschulen. 58 Prozent der heutigen FH-Studis sind für ihr Studium eigentlich überqualifiziert, da sie die allgemeine Hochschulreife erworben haben und somit auch an den Unis studieren dürften. Schon Mitte der achtziger Jahre habe sich dieser Trend abgezeichnet, berichtet Holtkamp. Vorreiter seien Wirtschaftsstudenten gewesen, die nach dem Abitur noch eine Banklehre absolvierten. Holtkamp vermutet einen „Reflex auf die Unsicherheiten des Arbeitmarktes“, denn viele hätten zu Recht das Vertrauen verloren, daß das Studium allein die Karriere schon richten werden.

Trotzdem sind die heute 110 staatlichen Fachhochschulen nicht mehr so überlaufen wie noch Ende der achtziger Jahre, als viele, die eigentlich an einer FH studieren wollten, in die Universitäten gedrängt wurden, weil dort der Numerus clausus leichter zu erfüllen war. Den Anspruch der Praxisorientierung könnten viele der Fachhochschulen allerdings nur zum Teil erfüllen, so Holtkamp. Denn die sachliche und personelle Ausstattung der FHs sei häufig nicht ausreichend, der Lehrkörper relativ überaltet. „Die Berufserfahrung vieler Dozenten“, weiß Holtkamp, „liegt so weit zurück, daß sie in der heutigen Realität kaum noch existiert.“

Trotzdem ist das Studium an den Fachhochschulen nach wie vor gefragt. Nicht nur in den klassischen Bereichen des Ingenieurswesens und der Wirtschaftswissenschaft oder für die sozialpflegerischen Berufe, die fast ausschließlich an den Fachhochschulen gelehrt werden. Auch im Bibliothekswesen sowie für Gestaltung und Design haben sich die Fachhochschulen bewährt. Die im Vergleich zu den Unis im Durchschnitt wesentlich kleineren Fachhochschulen bieten zudem eine wilkommene Alternative zum Massenstudium der Hochschulen. Und viele der erst in den letzten Jahren in Ostdeutschland aufgebauten Fachhochschulen verfügen über eine moderne Ausstattung und inhaltliche Struktur.

Besonders beliebt sind Fachhochschulabsolventen bei den Wirtschaftsverbänden. Deren Liebe zur Verbindung von Studium und Praxis geht sogar so weit, daß sie eigene Fachhochschulen in freier Trägerschaft gründen. Ein besonderes Beispiel hierfür ist die 1992 gegründete Nordakademie in Pinneberg. Die staatlich anerkannte Ausbildung der derzeit 540 Studierenden wird ausschließlich von einem Zusammenschluß norddeutscher Wirtschaftsunternehmen finanziert. Der Zugang zur Nordakademie ist allerdings nicht ganz so frei wie bei anderen Fachhochschulen. Studierwillige müssen sich zunächst als Praktikant bei einem der Trägerunternehmen bewerben. Wer von diesen für gut befunden wird, umgeht dann aber nicht nur die sonst bei Fachhochschulen in freier Trägerschaft üblichen Studiengebühren, sondern erhält sogar noch ein Praktikantengehalt. Betriebsbezogene Praktika und Diplomarbeiten sind fester Bestandteil der Ausbildung. Kein Wunder, daß die spartenspezifisch gebildeten Absolventen von den Betrieben meist mit Kußhand übernommen werden. Wer sich aber im Studium eine kritisch distanzierte Bildung erhofft, sollte vielleicht nicht unbedingt an die Nordakademie streben. Gereon Asmuth

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen