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Gesundheit, Wohlstand für alle

■ Hart am Rande des Kitschs: Der chinesische Spielfilm „Ich habe auch einen Papa“ beim Kinderfilmfest der Berlinale

„Leukämie ist große Scheiße“, meint eines der glatzköpfigen Kinder. Die Haare fallen nicht nur ihm aus von der Chemotherapie, mit der die Blutkrankheit behandelt wird. Da Zhi aber will sich nicht therapieren lassen. Statt dessen schwingt er seine Spinnenbeine immer wieder aus dem Toilettenfenster, klettert die Regenrinne runter und haut ab, um wieder barfuß durch die regennassen Straßen Schanghais zu laufen, während sich im Hintergrund Einkaufszentren mit riesigen Leuchtreklamen türmen. Seine Eltern wollten ihn nicht, warum bleibt im dunklen, dafür adoptiert er den Fußballstar Lin Tian-Hai als Vater.

„Ich habe auch einen Papa“ ist eine tragische, herzzerreißende Geschichte vom Sterben. Irgendwann zieht Da Zhi sich den Tropf aus dem Arm, betrachtet sein Blut, sucht nach den sich übermäßig vermehrenden weißen Blutkörperchen und meint: „Guck mal, es ist doch gar nicht weiß.“ Wenn sie mal schneller rennen als erlaubt, endet schon das bißchen Spaß, das sich die Kinder leisten, allzuoft mit Nasenbluten. Das tropfende Blut ist für sie wie ein Signal, daß es nun zu Ende geht. Dann werden sie zum Sterben in einen bläulich erleuchteten, aseptisch abgeschlossenen Raum getragen und wehren sich natürlich mit Händen und Füßen.

Die Freundschaft zwischen dem kranken Kind und dem Berufskicker bleibt seltsam steif. Meistens fahren sie im schicken Westauto vorbei an kapitalistischen Glaspalästen oder durch schnieke realsozialistische Neubausiedlungen, die den Charme von Hohenschönhausen ausstrahlen. Dazu erschallt eine Operettenversion des alten Stadion-Heulers „OléOléOlé“. Und selbst das Krankenhaus ist ein sympathischer Bau mit einem freundlichen, grünen Park drumherum, in dem der Klatschmohn blüht. Als gäbe es keine Ghettos, als wäre China tatsächlich auf dem Weg in eine Zukunft mit Wohlstand und Gesundheit für alle.

Weil die Dinge eine Zuspitzung brauchen, stirbt die beste Freundin, und ein entscheidender Elfmeter wird verschossen. Und als sich Da Zhi und Lin dann doch und endgültig in die Arme schließen, singt ein Chor aus tausend Engeln wieder „OléOléOlé“. Es soll nicht das letzte Mal sein, denn ein weiterer entscheidender Strafstoß muß noch verwandelt werden, während neues Leben geboren wird...

Das Kinderfilmfest feiert in diesem Jahr sein 20jähriges Bestehen, doch dieser mäßig kindgerechte Film wird kaum in die Geschichte des Festivals eingehen. Thomas Winkler

„Ich habe auch einen Papa“. VR China 1996, 101 Min., Regie: Huang Shuqin, 17.2., 14 Uhr, FaF

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