: Das falsche Bier und die ersoffene Yucca-Palme Von Ralf Sotscheck
Früher war das Carlton Hotel das erste Haus in Johannesburg. Heute steigen wegen der hohen Kriminalitätsrate in der Innenstadt trotz Dumpingpreisen kaum noch Touristen dort ab. Wer es – wie ich – dennoch tut, muß mit dem geballten Service des gelangweilten Personals rechnen.
Es fing damit an, daß man mir abends ungefragt ein Stück Schokolade ins Bett legte, das sich aufgrund der sommerlichen Temperaturen schnell aus dem Pappbehälter entfernte. Das Verschwinden der 200 Rand auf dem Nachttisch hatte dagegen nichts mit dem Wetter zu tun: Man hatte es als überaus großzügiges Trinkgeld interpretiert. Möglicherweise war das der Auslöser für eine Fürsorge, die mein Hotelzimmer in eine Bahnhofshalle verwandelte: Es war ein ständiges Kommen und Gehen.
Morgens um halb acht weckte man mich mit dem Kampfruf: „Room Service!“ Vor der Tür standen vier Leute. Sollte das Zimmer von Grund auf renoviert werden? Schon eine halbe Stunde später kamen sie wieder. Diesmal gab ich nach und ging frühstücken. Als ich zurückkehrte, machten sich zwei Männer mit einer Gießkanne im Zimmer zu schaffen. „Blumen gießen“, bestätigten sie meinen Verdacht. Blumen? Eine einzige Yucca-Palme, die wegen der gewaltigen Wassermengen, die ihr täglich verabreicht wurden, Fäulnisspuren aufwies.
Doch verglichen mit der Minibar, die dezent unter dem Fernseher verschlossen war, mußte sich die ertrinkende Yucca geradezu vernachlässigt vorkommen. Um elf Uhr brachte man mir den Bar- Schlüssel, obwohl ich die Tür soeben durch einen kräftigen Ruck auch ohne Hilfsmittel geöffnet hatte. Offenbar hatte ich mich dadurch als Trinker geoutet. Jedenfalls stand eine Stunde später ein weiterer Hotelangestellter vor der Tür, um den Inhalt der Minibar zu überprüfen. „Ich trinke tagsüber nicht“, beteuerte ich. Doch schon zwei Stunden später kam ein Kollege und machte Generalinventur.
Dazu legte er sich flach auf den Boden und notierte akribisch jedes der kleinen Fläschchen auf einer Liste. Manchmal gab er einen unmutigen Laut von sich, worauf ich versicherte, daß ich erst heute angekommen und noch immer stocknüchtern sei. „Das mag sein“, brummte er, „aber hier stehen zwei Castle-Biere. Es soll aber ein Castle und ein Hansa sein.“ Verdächtigte er mich, heimlich ein Hansa getrunken und es gegen ein 20 Pfennig billigeres Castle ausgetauscht zu haben? „Bei den Schnäpsen stimmt auch einiges nicht“, behauptete er. „Dieser Likör hat hier nichts zu suchen.“ Er solle ihn mitnehmen, ich würde darüber hinwegkommen, schwor ich. So einfach sei das nicht, meinte er. Es müsse alles stimmen.
Zehn Minuten später war er mit einem Tablett voller kleiner Schnapsfläschchen zurück. Er las die Etiketten, verglich sie mit den vorhandenen Flaschen, tauschte einige aus, ordnete alles neu und verschwand zufrieden nach einer halben Stunde. Fünf Minuten später war er wieder da. „Sie sollten die Minibar stets abschließen, wenn Sie weggehen“, riet er mir. „Sonst könnte sich ja jeder bedienen.“ Ich warf ihn hinaus, hängte das Bitte-nicht-stören-Schild außen an die Tür und kippte mir nacheinander einen Whiskey, einen Wodka und einen leckeren südafrikanischen Amarula-Likör hinter die Binde.
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