: Ein politischer Mord als Geburtstagsgeschenk
■ Kurz vor dem Jubeltag von Nord-Koreas "geliebtem Führer" Kim Jong Il, wird in Südkorea ein Überläufer erschossen
Seoul/Peking (AFP/rtr) – Ein Anschlag auf einen prominenten nordkoreanischen Überläufer, der in Seoul vermutlich von Agenten seines Landes erschossen wurde, hat gestern den Konflikt zwischen Nord- und Süd-Korea weiter angeheizt. Die Regierung in Seoul wertete das Attentat auf Lee Han Young, der sich 1982 in den Süden abgesetzt hatte, als Vergeltung Nord-Koreas für die Flucht des Chefideologen Hwang Jang Yop. Hwang hatte am Mittwoch in der südkoreanische Botschaft in China um Asyl gebeten. Aus Angst vor Gewalttaten des Nordens wurden in Süd-Korea und in den südkoreanischen Botschaften die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Die Botschaft in Peking, wo sich auch gestern keine Lösung in der Überläuferaffäre abzeichnete, glich einer Festung. Hinter den Absperrungen standen mehrere Diplomatenwagen Nord-Koreas.
In Seoul stellten gestern die Ärzte den Hirntod des 37jährigen Lee Han Young fest. Zwei Attentäter hatten den Überläufer am Vorabend in Kopf und Brust geschossen. Lee ist der Neffe einer früheren Freundin von Nord-Koreas Führer Kim Jong Il. Nach seiner Flucht aus Nord-Korea hatte er seinen Namen geändert und sich einer Gesichtsoperation unterzogen. Erst vor einem Jahr war bekanntgeworden, daß er übergelaufen war. Lee hatte 1982 in der südkoreanischen Botschaft in der Schweiz um Asyl gebeten.
Mit dem Anschlag habe Nord- Korea „seine Drohungen in die Tat umgesetzt“, sagte gestern der südkoreanische Ministerpräsident Lee Soo Sung. Pjöngjang hatte nach der Flucht des Spitzenfunktionärs Hwang mit Vergeltung gedroht. Nord-Korea beschuldigt die Regierung in Seoul, den Chefideologen entführt zu haben.
Die Armee wurde rund um Seoul in Alarmbereitschaft versetzt, da „Terrorakte nordkoreanischer Agenten oder Guerillagruppen“ drohten, teilte das Verteidigungsministerium mit. Das Innenministerium ordnete Polizeischutz für prominente Politiker und andere im Süden lebende Überläufer an. Wichtige öffentliche Einrichtungen, Häfen und Flughäfen müßten besonders gesichert werden. In der Region Seoul errichteten Tausende schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten Straßensperren und kontrollierten Autofahrer. Mit Spürhunden ausgerüstete Armee- Einheiten nahmen die Fahndung nach den Attentätern auf.
Um die südkoreanische Botschaft in Peking postierten sich 50 schwerbewaffnete Anti-Aufruhr- Kräfte und 100 Bereitschaftspolizisten, ein Wasserwerfer fuhr vor. Die Barrikaden an den Zufahrtstraßen wurden mit Nagelketten verstärkt, nachdem ein nordkoreanischer Diplomatenwagen versucht hatte, eine Absperrung zu durchbrechen. Hwang ist der ranghöchste Funktionär, der Nord-Korea bislang den Rücken kehrte.
Die Affäre bringt China in eine schwierige Lage: Zum einen will die politische Führung des Landes nicht dem langjährigen Verbündeten Nord-Korea in den Rücken fallen, zum anderen aber auch nicht den neuen Wirtschaftspartner Süd-Korea verärgern.
Trotz der Überläuferaffäre wurde in Pjöngjang gestern der 55. Geburtstag von Kim Jong Il gefeiert. Die Feiern wurden genutzt, um die militärischen Verdienste Kims hervorzuheben. Kim habe die Armee zum Kern des Staates und zur wichtigsten Kraft der Revolution gemacht, erklärte das Zentralkomitee der Kommunistischen Arbeiterpartei. Eine vom staatlichen Rundfunk zunächst angekündigte Übertragung einer Turnvorführung zu Ehren des Geburtstagskindes wurde kurzfristig abgesagt – ohne Begründung.
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