Bundesliga aktuell: Ein niedlicher Lauser
■ Spielertypen der 90er (6): Den ewigen Lausbub mögen nicht nur die Frauen
Der ewige Lausbub mißt nur 1,70 und wiegt nicht mehr als 70 Kilo. Die Leichtigkeit seines Seins ist seine Stärke auf dem Fußballfeld. Er ist wendig, drehfreudig und dribbelstark, und so manches Mal spielt er größeren Gegnern, zum Beispiel blonden Hünen, Knoten in die Beine, wenn er wie ein Kaninchen seine Haken schlägt.
Die Elf der Lausbuben
Prototyp des ewigen Lausbubs: Thomas Häßler (167 cm, 67 kg)
Trainer: Aleks Ristic
Tor: Uwe Kamps (Sondergenehmigung, weil mit 1,80 m der kleinste Bundesliga-Torwart)
Abwehr: Olaf Thon (170/67)
Mittelfeld: Manfred Schwabl (170/66), Dorinel Munteanu (170/70), Harald Spörl (170/70), Horst Heldt (169/65), Thomas Häßler (167/67), Peter Nowak (170/66), Darius Wosz (168/62)
Angriff: Ion Vladoiu (170/74) , Fritz Walter (172/68, Sondergenehmigung wegen besonderer Lausbubenhaftigkeit).
Prognose: Bei elf Publikumslieblingen sind volle Stadien garantiert. Allerdings kriegt die Lausbubenelf pro Spiel ein Dutzend Kopfball-Gegentore.
Der Lausbub schmunzelt stets verschmitzt, als habe er gerade die Türklinke des Trainerzimmers mit Zahnpasta eingeschmiert. Verhaltensforscher rätseln, ob der Lausbub wegen Wachstumsstörungen Lausbub geblieben ist oder ob andere ihn zum Lausbub abstempeln. Das sollen geschulte Psychologiesoziologen entscheiden. Jedenfalls verbreitet der Lausbub gute Laune und gilt deshalb bei psychologisch geschulten Trainern als „Motivationsplus“.
Doch das sonnige Gemüt des Lausbubs täuscht. Der Lausbub ist hinter seiner Lausbubenfassade sehr sensibel. Verschossene Elfer, Verletzungen und Auswechslungen rauben ihm das eh schon spärliche Selbstvertrauen. Streichelt ihm der Hüne tröstend über den Kopf, als sei der Lausbub ein gestolperter Sextaner, beginnt der Lausbub innerlich vor Wut zu kochen.
Zum Training fährt der Lausbub mit einem umgerüsteten Trabi, damit sein Privatauto nicht schmutzig wird. Das festigt sein Lausbuben-Image. Früher hatte der Lausbub „Probleme, Frauen kennenzulernen“, weil er halt so klein ist; doch die hat er „heute natürlich nicht mehr“, sagt er. (Warum eigentlich nicht?)
Immer ist er Publikumsliebling, der Lausbub. Der ältere Stadionbesucher projiziert auf ihn unerfüllte Karrierewünsche für seinen Sohn, der, abgefüllt mit Ecstasy, in der Disco zappelt; oder auf seine eigene verpfuschte Jugend, als er in Poppenbüttel nie in der Ersten spielen durfte und nur im Saufen groß war. Setzt der Trainer den Lausbub auf die Bank, pfeift der Stadiongast den Trainer wütend aus, als hätte er seinen Sohn beleidigt.
Wie sehr der Zuschauer den Lausbuben mag, zeigen Publikumswahlen. Dort bekommt der Lausbub die absolute Mehrheit. Südafrikanische Spaßvögel und südamerikanische Ballkünstler haben das Nachsehen. Es kullern fast des Lausbubs Tränen, wenn er sagt: „Ich bin halt ein sehr sensibler Kerl, und ich muß mich jetzt ein bißchen zusammenreißen.“
Der Fernsehmensch Hansch nennt den Lausbuben Zaubermaus, denn wie der Stadiongast liebt auch der Fernsehmann den Lausbuben, vor allem dann, wenn der Lausbub redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das wirkt niedlich, das wollen die Zuschauerfrauen in der Glotze sehen. Die Zuschauermänner glotzen ja sowieso Fußball, die müssen ja nicht erst von niedlichen Lausern an die Mattscheibe gelockt werden.
So hat auch der Lausbub seinen Platz in dieser Welt der Großen, und manchmal wird auch er ganz groß, wenn er zum Beispiel im Uefa-Cup den Gegner allein abschießt. Wenn er sich dann den Knöchel bricht und lange nicht spielen kann und die Großen alles noch vergeigen, dann ist die Ewigkeit zu Ende und der ewige Lausbub kein ewiger Lausbub mehr, sondern ein armer Tropf.
Die Großen aber sind die Doofen. Joachim Frisch
Nächste Folge: Der Besessene
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