■ Spendenwesen
: Alibi der Politik

Mehrere Milliarden Mark spenden die Deutschen jedes Jahr für rund 20.000 verschiedene Organisationen, aber sie mißtrauen den Empfängern ihrer Gaben. Vor allem die Frage, ob das Geld auch wirklich bei denen ankommt, für die es bestimmt ist, beschäftigt viele Spender. 78 Prozent der Bundesbürger glauben einer Emnid- Umfrage zufolge, daß zu viele Mittel in der Bürokratie der Organisationen versickern. So berechtigt diese Sorge auch sein mag – es gibt im Zusammenhang mit humanitären Hilfsaktionen noch weit schwerwiegendere Vorwürfe.

„Hilfe, die Helfer kommen“ heißt ein Buch von Horand Knaup, in dem der Journalist die Schwachstellen der Arbeit karitativer Organisationen bei Auslandeinsätzen aufzeigt. Mit zahlreichen Beispielen belegt der Autor, wie Spenden mißbraucht werden, es an der notwendigen Koordination vor Ort fehlt und der Konkurrenzkampf der Organisationen untereinander bizarre Formen annimmt – bis hin zum Gerangel um die Genehmigung für Werbewände am Schauplatz der Not.

Hilfe kann, wie Knaup beweist, in Einzelfällen den Bedürftigen sogar schaden: Etwa, wenn Helfer plötzlich evakuiert werden müssen und deshalb Wiederholungsimpfungen für Kinder nicht sachgemäß abschließen können. Die Kinder sind dann anfälliger für Krankheiten als vor der ersten Impfung. Oder dort, wo ausländische Nahrungsmittelhilfe einheimische Produzenten in den Ruin treibt.

Die Zahl derjenigen, die von einer Katastrophe unmittelbar betroffen sind, hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen. In den siebziger Jahren litten laut „World Disasters Report“ jährlich knapp 80 Millionen Menschen unter Kriegen und deren Folgen, zu Beginn der neunziger Jahre waren es knapp 180 Millionen. Für akute Notsituationen läßt sich leichter Geld auftreiben als für unspektakuläre Langzeitprojekte. Die Folge: Für die stehen immer weniger Mittel zur Verfügung, fast alles fließt in die Katastrophenhilfe.

Ein großer Teil des Buches befaßt sich mit den politischen Wirkungen der humanitären Hilfe. Neutral und überparteilich sei Hilfe niemals, meint Knaup: „Denn mit der Vergabe der Mittel werden immer auch politische Prioritäten definiert.“ Humanitäre Hilfe habe sich zum Politikersatz entwickelt, kritisiert der Autor: „Wo der Wille zum politischen Handeln fehlt, muß heute die vorgetäuschte Geste des Helfens herhalten. Die humanitären Organisationen werden vorgeschickt. Sie werden mit Geld und Auftrag ausgestattet und erwecken so den Anschein, als geschehe etwas. Tatsächlich arbeiten sie als eine Art Reparaturbetrieb. Weder das Bonner Außenministerium noch das Bundeskanzleramt haben bisher überzeugende Aktivitäten im Bereich der Krisen- und Konfliktbewältigung entwickelt.“ Knaups Schlußfolgerung: „Die Arbeit humanitärer Helfer muß herhalten, um das Versagen der Politik zu kaschieren.“

Knaup schlägt in seinem Buch nicht drauf, er zeigt mit dem Finger. Er schimpft nicht, er mahnt. Es geht ihm nicht darum, humanitäre Hilfe zu verdammen, er will sie reformiert sehen. Diese differenzierte Sicht mit Blick aufs Detail könnte sein Buch zu einem Standardwerk zum Thema werden lassen. Bettina Gaus

Horand Knaup: „Hilfe, die Helfer kommen. Karitative Organisationen im Wettbewerb um Spenden und Katastrophen“. Beck'sche Reihe, München 1996, 19,80 DM