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Wie systemimmanent war die DDR-Oppossition?

■ Zwei amerikanische Arbeiten zum Wirken der DDR-Intellektuellen seit 1949

Die zeithistorische DDR-Forschung schenkte der DDR-Opposition vor der Wende kaum Aufmerksamkeit. Mittlerweile werden die ehemals „Gehetzten und Erniedrigten“ fast durch die Bank als Wegbereiter demokratischer Verhältnisse in Ostdeutschland gelobt. In dieser späten Würdigung werden jedoch nicht selten wichtige Ereignisse aus der Oppositionsgeschichte schamhaft übergangen.

Daß große Sympathie und kritische Analyse sich nicht ausschließen müssen, zeigen zwei in den USA erschienene Bücher. John C. Torpey und Christian Joppke versuchen die auffälligen Unterschiede zwischen der DDR-Opposition und ihren Partnern in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei aus den Eigentümlichkeiten („peculiarities“) der deutschen Geschichte zu erklären. Vor allem die unterschiedliche Kritik am SED- Staat von Intellektuellen und breiten Teilen der Bevölkerung ist ihr Gegenstand.

Die Autoren erinnern dabei komischerweise nicht an den Versuch des Volkskammerabgeordneten Robert Havemann, die streikenden Bauarbeiter Ostberlins am 17. Juni 1953 unter Hinweis auf die Errungenschaften des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden zum Abbruch ihres Aufstandes zu bewegen. Havemanns Lautsprecherwagen wurde damals von den Demonstranten unter Gelächter umgekippt, er selbst kam nicht zu Schaden.

Torpey und Joppke gehen jedoch am Beispiel vieler ähnlicher Ereignisse der Frage nach, ob es sich lediglich um komisch-tragische Geschichten handelte oder um erhellende Hinweise auf eine spezifische Tradition intellektueller Kritik am nach-nationalsozialistischen Realsozialismus.

Die Sozialwissenschaftler aus den USA betonen, daß die DDR im Unterschied zu den osteuropäischen Staaten eine Neugründung war. Im Unterschied zu diesen mußten alle politischen Akteure wie auch die Opposition sich hier nicht nur von einer fremdbestimmten Besatzung in ihrem mitgebrachten Gesellschaftssystem befreien. Sie mußten auch nachträglich mit dem selbst zu verantwortenden Nationalsozialismus und der nicht selbst herbeigeführten Befreiung zurechtkommen.

Der polnische Bürgerrechtler Adam Michnik und seine Freunde hatten in Auseinandersetzungen mit ihren Vorfahren nicht deren Verbrechen zu bedenken, Bärbel Bohley und ihre Mitstreiter wohl. Ein Rückgriff auf nationale demokratische Traditionen schien für Oppositionelle in der DDR und der Bundesrepublik aufgrund der von Nationalsozialisten begangenen Verbrechen völlig unmöglich.

Trotz ähnlicher Ausgangspunkte in der Darstellung der Traditionslinien intellektueller Kritik in der DDR kommen beide Autoren zu deutlich verschiedenen Ergebnissen. Torpey schildert die besonderen Orientierungen der DDR-Opposition seit 1945 vorwiegend als Resultate nicht selbst geschaffener Bedingungen. Er hebt besonders die Privilegierung der Intelligenz im SED-Staat hervor und ihre lange antifaschistische und antikapitalistische Tradition. Er schildert das langsame Verblassen dieser Orientierungen am Ende der siebziger Jahre und die beginnende, aber nicht ganz gelungene Orientierung an den Menschenrechten in den Achtzigern. Er streicht ihren späten, aber dann doch erfolgten Versuch der Konstitution einer „civil society“ heraus und die Herausforderung für demokratische Erneuerung, die diese Orientierung auch für die gegenwärtige Bundesrepublik bedeuten kann.

Joppke hingegen konzentriert sich eher auf eine allgemeine Theorie von Opposition und Widerstand in leninistischen Regimen und untersucht den langen Nachhall antidemokratischer, romantischer und antiwestlicher Traditionen in den Konzeptionen der Opposition selbst. Er tendiert daher eher zu der Auffassung, daß es eine wirkliche intellektuelle Opposition seit 1945 in der DDR kaum gegeben hat. Sie habe sich von den ideologischen Vorgaben des Systems nur unvollkommen befreit. Joppke beschreibt die dominante Orientierung an Konzeptionen des Dritten Weges als eine Neuauflage deutschen Sonderbewußtseins.

Die besondere Bedeutung der beiden Bücher liegen in dem Versuch, die Eigentümlichkeiten deutscher Geschichte systematisch auf die Entwicklung und Orientierung der DDR-Opposition zu beziehen. Die Autoren führen damit eine historische Dimension in die Darstellung der Geschichte der DDR- Opposition ein, die in den meisten deutschen Darstellungen kaum berücksichtigt wird. Sie nehmen damit auch eine Kritiktradition auf, die bereits in anglosächsischen (zum Beispiel Ash/Markovits/ Woods) und osteuropäischen (zum Beispiel Feher/Heller) Analysen der achtziger Jahre zu finden war, in Deutschland aber kaum rezipiert wurde.

Beide Bücher beanspruchen, einen Überblick über Opposition, Dissidenz und Verweigerung in der DDR seit dem Ende des Krieges zu geben. Bei beiden Arbeiten handelt es sich aber eher um eine Geschichte der Intelligenz in der DDR. Dies wird Kritik hervorrufen, schmälert aber nicht deren analytischen Wert.

Insbesondere Joppkes Arbeit provozierte Kritik, da sie, wie Uwe Thaysen schrieb, „sämtliche Wellen antidemokratischen Denkens und antidemokratischer Traditionen in Deutschloand über den Köpfen der ostdeutschen Oppositionellen zusammenschlagen“ läßt. Bevor man sich auf die Diskussion der Konzeptionen der DDR-Oppositionellen einlasse, solle man festhalten, daß sie „eine nicht eben unwesentliche Qualifikation ziviler Gesellschaft erbracht haben: (nämlich) Zivilcourage“. Berücksichtigt man den milden Umgang mit den Tätern der SED-Diktatur und die fortdauernden Folgen von Repression und Verfolgung, ist man geneigt, dem Lüneburger Politikwissenschaftler zuzustimmen. Aber tut man einem leidenden Freund wirklich Gutes, wenn man ihm eine Kritik seiner politischen Halbheiten erspart? „In der Wahrheit leben“ (Havel) erweist sich damit als ein Grundsatz, der nicht nur als Widerstandsmaxime unter totalitären Bedingungen Gültigkeit hat. Martin Jander

John C. Torpey: „Intellectuals, Socialism and Dissent. The East German Opposition and its Legacy“. University of Minnesota Press, Minneapolis 1995, 45 DM

Christian Joppke: „East German Dissidents and the Revolution of 1989. Social Movement in a Leninist Regime“. New York University Press, N. Y. 1996, 39 DM

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