: Stille Schatten
■ „Der schlafende Mann“ von Oguri im Forum
Europäische Häuser unterscheiden sich sehr von japanischen, erzählt der japanische Regisseur Kohei Oguri. Während man sich in Europa bemühe, innen und außen mit steinernen Mauern streng voneinander zu trennen, der Innenraum dem Außenraum „feindlich“ gegenüberstehe, seien die meist aus Holz gebauten japanischen Häuser durchlässig. Kultur und Natur, Leben und Tod durchdringen einander.
„Der schlafende Mann“ spielt in einem Zwischenreich. Seit einem Unfall dämmert Takuji bewußtlos im Haus eines Bauern vor sich hin. Der Schlafende ist das unbewegte Zentrum eines Films, der in seiner Stille an die großen Werke von Ozu oder Mizoguchi anknüpft. Was passiert, verweigert sich eigentlich der Nacherzählung. Die Kamera betrachtet die kleine ländliche Stadt und ihre Bewohner, wie Bäume vielleicht Menschen betrachten: einen alten Mann, der vor seiner großen, hölzernen Wassermühle sitzt, koreanische Frauen, die in einer Bar arbeiten. Es wäre schön, wenn Bäume Mädchen betrachten könnten, die in blauen Schuluniformen lachend durch eine nächtliche Einkaufspassage ziehen.
Der Film ist still: Zwei können miteinander sprechen, und trotzdem ist es still. Die japanische Stille ist sehr sachlich und klar.
Jemand findet die Notizbücher des Verstorbenen. Darin spricht er von seiner Traurigkeit und davon, daß er immer gerne Zeitung gelesen hätte. Am liebsten seien ihm kurze Artikel über die Blumen der jeweiligen Jahreszeit und Berichte über das Wetter. Vielleicht ist die Natur mit ihren Zyklen das Subjekt des meditativ-spröden Films. Subjekt ist das falsche Wort, wenn es um Zwischenreiche geht. Gegen Ende des Films ein riesiger gelber Mond vor der dunklen Silhouette des Bauernhauses. Takujis Schulfreund steht auf einem Hügel vor einem geschlossenen Regenbogen. Im Inneren des Kreises ist der Schatten des Verstorbenen.
„Der schlafende Mann ist wach, und die anderen Personen um ihn herum sind vielleicht sein Traum“, sagt Nemuru Otoko. Eine Zuschauerin fragt den jungen Regisseur, warum er sie abgelehnt habe, als sie sich in Japan für eine Nebenrolle des Films beworben hätte. Kohei Oguri wurde rot, ging lachend und verunsichert ein paar Schritte hin und her und antwortete dann: „Ich muß blind gewesen sein.“ Detlef Kuhlbrodt
„Nemuru Otoko – der schlafende Mann“, Japan 1996, 103 Min., Regie: Kohei Oguri.
Heute: 12 Uhr Akad. der Künste.
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