: Die Macht der Lügen
■ Vertauschte Rollen: „Im Gully“, von Pawel Lozinski, auf dem Kinderfilmfest
500 französische Franc fallen in einen Gulli in Warschau. Der 10jährige Sebastian, den seine Mutter bezeichnenderweise nach einer TV-Serienfigur benannt hat, will sich davon eine Knarre kaufen. Und Eugeniusz spart auf ein Flugticket, das ihn zu seinen nach Australien ausgewanderten Kindern bringen soll. Aber keiner von beiden kommt ran an den Schein, und der nun entbrennende Kleinkrieg wird mit allen Mitteln geführt.
Doch während die beiden versuchen sich auszutricksen, müssen sie sich auch noch gegen widige Umstände stemmen: Lieferwagen parken auf dem Gulli, die Straßenreinigung droht den Schatz in die Kanalisation zu spülen, Hotelportiers werden mißtrauisch. Außerdem sieht es nach Regen aus.
Und es kommt, wie es kommen mußte. Die beiden lernen sich kennen, langsam, sehr langsam, fassen Vertrauen, enttäuschen sich, betrügen sich wieder und finden dann doch zueinander. Sebastian wird zum Ersatz für die Enkelkinder, die Eugeniusz noch nie gesehen hat. Und Eugeniusz ist endlich jemand, der sich zumindest ein wenig um den vernachlässigten Sebastian kümmert.
Pawel Lozinski erzählt in seinem ersten Spielfilm mit trockenem Witz, immer ganz lakonisch und in Bildern, die kaum mehr abbilden, als was in den Gesichtern der Akteure sowieso zu lesen steht: Für zwei Menschen, die vom Leben eigentlich nichts mehr erwarten, wird ein Geldschein im Gully zum Glücksersatz. „Im Gully“ funktioniert gerade deshalb, weil die Beziehung zwischen den beiden ständig schwankt zwischen Mißtrauen und Verstehen, weil sie beide lügen, weil keiner der beiden perfekt ist. Im Gegensatz zu anderen Generationenfilmen sind die Rollen hier eher vertauscht. Der Alte ist kein netter Opa, der mit Schulweisheiten und netten Ratschlägen glänzt, sondern ein eher unfreundlicher Zeitgenosse, ein vom Leben enttäuschter Zyniker, der trotzdem noch sehnsüchtig auf die australische Postkarte schaut. Doch die Postkarte ist unbeschrieben, er hat sie sich selbst gekauft.
Das Kind ist zwar fester in der Realität verankert, aber ebenso desillusioniert, rotzfrech und respektlos. Läßt die Schule sausen, um Autoradios zu klauen, und schaltet der Oma das Hörgerät aus, um Batterien zu sparen. Gestraft vom Leben sind sie beide vor allem deshalb, weil sie allein gelassen wurden. So finden sich zwei Seelen, wo es doch eigentlich ums Geld ging. Die 500 Franc werden schließlich in die Weichsel gespült, und Opa und Enkel ziehen aufeinandergestützt von dannen. Thomas Winkler
„Im Gully“. Polen 1996. 50 Min. 19.2., 15 Uhr Landesbildstelle
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