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Ein Oberst heißt Schloendorff

■ Kokainsüchtig, unkatholisch und überhaupt pervers: Die Deutschen in Claude Berris „Lucie Aubrac“ (Wettbewerb)

Es ist schon seltsam: völlig unverdrossen dreht der Franzose seit vierzig Jahren Resistance-Filme, deren Stil die Zeit nichts anhaben kann. Sie lassen sich von der Tatsache, daß immer mehr Kollaboration ans Licht kommt, in keiner Weise irritieren, was auf seine Art irgendwie sympathisch ist. Immer wirkt es, als seien die Beteiligten schon deshalb Antifaschisten, weil sie einfach besser aussehen als die Deutschen, die in den immer gleichen Stiefeln einherklotzen und in diesem Fall heißt ein Oberst sogar Schloendorff.

„Lucie Aubrac“ beginnt mit einem Anschlag auf einen Zugtransport, den, wie man weiß, Raymond Samuel (Daniel Auteuil) nie begangen hat – kleine „Freiheit“ des Regisseurs, um gleich an der richtigen Stelle in die Filmgeschichte einzugehen. La Bataille du rail, versteh versteh, auch der Name Jean Moulin fällt und schnell sagt einer „Ich bin Klaus Barbie“, und logisch ist er blond und stahläugig. Alle sind wieder beisammen, und man merkte, wie das Publikum, das dieser Tage schon sehr viele Viehwaggons, Koffer und Folterkeller über sich ergehen lassen mußte, etwas unruhig mit den Füssen scharrte.

Claude Berri, Frankreichs wichtigster jüdischer Produzent, hat hier Regie geführt und die authentische Geschichte einer Frau verfilmt, die ihren Mann aus den Kerkern der Gestapo befreien wollte. Aubrac hat vor einigen Jahren ihre Erinnerungen veröffentlicht, und zwar während des Barbie-Prozesses, der in Frankreich etwa eine so aufwühlende Wirkung hatte wie der Eichmann-Prozeß in Israel. Anlaß war, so berichtet jedenfalls Claude Berri, Barbies Versuch, einige der gemeinsam mit Jean Moulin verhafteten Resistance-Mitglieder in ein zweifelhaftes Licht zu rücken. Entsprechend wird im Film ein Verräter nie gefunden.

Berris zweiter Orientierungspunkt ist Rosselini und überhaupt die Überzeugung des italienischen Neorealismus, die Deutschen seien allesamt schwul, lesbisch, kokainsüchtig, unkatholisch und überhaupt pervers – man erinnere sich nur an die Pappkameraden in „Rom, offene Stadt“. Auch hier greift Klaus Barbie, nachdem er Daniel Auteuil eins mit der Pferdepeitsche übergezogen hat, seiner rothaarig gestrengen Sekretärin unter den Rock, die bereits Apfelessend und breitbeinig darauf gewartet hat. Ich hätte alle Umsitzenden küssen können, als im Zoo-Palast mitten im Film gebuht wurde, was wirklich selten vorkommt.

Carole Bouquet ist eine erschütternd schöne Frau, die ein bißchen an Romy Schneider erinnert, und wenn sie Polka-Dots trägt, möchte man ihr seine Telekom-Aktien vor die Füße legen. Nur kann sie leider nicht schauspielen, jedenfalls nichts Ernstes, (in „Grosse Fatigue“ war sie sehr lustig), aber so richtig ernst ist dieser Film auch eigentlich nicht. Bouquets Auftritt in dem Film soll anknüpfen an Simone Signoret und Catherine Deneuve, die sich ja auch immer mal wieder für gewisse Anliegen einsetzt; es gehört einfach bei den Franzosen zur Folklore. Die schlechteste ist es sicher nicht. Mariam Niroumand

„Lucie Aubrac“, F 1996, 106 Min., Regie: Claude Berri. Mit Carole Bouquet, Daniel Auteuil u.a.

Heute: 12 Uhr Royal Palast; 18.30 Uhr Urania; 22.45 Uhr International

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