"Wir sind komische kleine Wesen"

■ Shakespeare mußte ein Publikum von 3.000 Trunkenbolden fesseln. Was Shakespeare konnte, kann Baz Luhrmann schon lange: Ein Interview mit dem Regisseur von "William Shakespeare's Romeo & Julia"

Baz Luhrmann ist in Australien geboren und 34 Jahre alt. Er hat als Theater- und Opernregisseur gearbeitet. 1991 verfilmte er sein Theaterstück „Strictly Ballroom“. „Romeo & Julia“ ist sein zweiter Film.

taz: Warum haben Sie „Romeo & Julia“ in Mexiko und nicht in Australien gedreht?

Baz Luhrmann: In Mexiko-City gibt es diese phantastischen alten Studios. Als wir dort ankamen, war Mexiko-City genau so, wie wir uns Verona Beach vorgestellt haben. Eine Stadt westlicher Prägung, aber im elisabethanischen Stil. Um Verona Beach zu entwickeln, haben wir die elisabethanische Welt in ihren Details analysiert, die soziale, die ökonomische Realität des elisabethanischen Theaters und das haben wir dann in zeitgenössische Bilder umgesetzt.

Wenn Sie in Mexiko in ein Restaurant gehen, steht ein Typ mit einem Gewehr vor der Tür. Religion und Politik sind sehr eng miteinander verknüpft. Es gibt eine kleine Zahl extrem reicher Leute und eine große Gruppe von sehr armen Menschen. Insofern hatte Mexiko alle diese besonderen Elemente, die wir für unsere imaginäre Welt brauchten.

Sie haben lange für Theater und Oper gearbeitet. Haben Sie etwas Neues über Shakespeare erfahren, indem Sie diesmal das Medium Film benutzt haben?

Wir sind keine Filmemacher, keine Opernregisseure im klassischen Sinn. Wir sind nicht käuflich. Wir haben auch Wahlkampagnen gemacht, für Kunstmagazine gearbeitet, wir tun Dinge, die das Leben interessant machen. Das ist unsere Philosophie. Also denken wir uns etwas aus, das uns fesselt und unser Leben reicher und interessanter macht.

Ich wollte „William Shakespeare's Romeo & Julia“ in jedem Fall machen. Das Stück. Wir begannen also mit der Frage: Wenn Shakespeare heute einen Film drehen würde, was für eine Art Film würde er machen? Es ging mir darum, die Sprache Shakespeares herauszustellen, nicht die Geschichte. Auch Shakespeare hat sich die Geschichte nicht ausgedacht, sondern aus einer italienischen Novelle geklaut. Seine Beobachtungsgabe der menschlichen Natur, das ist große Kunst, er weiß einfach, was wir für komische kleine Wesen sind. Aber seine Fähigkeit, die Natur des Menschen offenzulegen, drückt sich mittels Sprache aus.

Die Sprache steht in einem eigenartigen Kontrast zu der hypermodernen Ästhetik des Films, seinen dauernden Brüchen, den harten Schnitten usw.

Manche halten dem Film seinen eklektizistischen Stil entgegen – die vielen Stilbrüche, das sei MTV. In Wahrheit ist das eine sehr direkte Übersetzung der elisabethanischen Bühnensprache. Das steht so im Text, auch Shakespeare würde eine Minute Slapstickkomödie machen, dann einen Popsong hineinnehmen und im nächsten Moment große Tragödie spielen. Die Stilbrüche haben klar mit der elisabethanischen Bühnensprache zu tun, wir haben sie dann nur in Kinobilder umgesetzt.

Wie haben Sie es geschafft, daß Ihre Schauspieler so locker mit dem elisabethanischen Englisch umgegangen sind?

Das Studio wollte diesen Film nicht machen. Es ist ein Mythos, daß amerikanische Studios Shakespeare machen wollen. Wollen sie nicht. Leonardo [DiCaprio – Darsteller des Romeo] hat sogar seine zwei Flüge nach Australien selbst bezahlt und auf seine Gage verzichtet, damit wir zwei Wochen lang eine Version auf Video drehen konnten. Diese Videofassung hat dann das Studio überzeugt, den Film zu machen. Und das war auch der Beginn unseres Probenprozesses. Die Schauspieler sollten lernen, jedes Wort zu verstehen, das sie sprachen. Dieses intensive Einlassen auf die Sprache half ihnen, sich damit zu verständigen.

Ihren Akzent durften Sie bewußt beibehalten?

Interessant ist, daß nicht etwa englische, sondern einige amerikanische Kritiker meinten, wir hätten den falschen Akzent benutzt. Dabei hat Shakespeare selbstverständlich für einen amerikanischen Akzent geschrieben. Die amerikanischen Siedler waren schließlich Elisabethanianer. Shakespeares Sprache war die Sprache der Straße.

Er hat ein Viertel der englischen Sprache geformt, ein Wort wie „bubble“ stammt von ihm. Er war ein unglaublicher Entertainer und wilder Geschichtenerzähler. Er hätte „Pulp Fiction“ schreiben können. Shakespeare war einem Publikum von 3.000 Trunkenbolden ausgeliefert, dem er Geschichten auf sehr packende Weise erzählen mußte. Seine Stücke mußten mit Prostitution und Tierkämpfen konkurrieren können. Außerdem reichte sein Publikum von der englischen Königin bis zum Straßenkehrer. Alles, was wir versuchen, ist, das Publikum zurückzuerobern, für das das Stück seinerzeit geschrieben worden ist, und das waren alle und nicht nur ein exquisiter kleiner Kreis.

Interview: Sabine Seifert