piwik no script img

Propere Kerlchen

Wissenswertes über Engerling, Speckkäfer, Bücherwurm und gemeine Hausratte: Die Ausstellung „Heimliche Untermieter“ eröffnet in Coburg  ■ Von Anja Schermuly

In Havanna dudelt es fröhlich an jeder Ecke: La cucaracha, la cucaracha – lalalalalalala... Auch in unseren Breitengraden sind Lied und besungenes Insekt, die Kakerlake, bestens bekannt. Doch wer weiß beispielsweise, daß die Kakerlake weder zur Familie der Käfer noch zur Familie der Motten gehört, sondern eine eigene Insektenordnung bildet? Die Ausstellung „Heimliche Untermieter“, konzipiert und zusammengestellt vom Mühlerama Zürich und dem Natur-Museum Luzern, gibt nicht nur Auskunft über allerlei Ungeziefer, sondern dokumentiert auch Kulturgeschichte und den unbarmherzigen Kampf gegen die ungebetenen Gäste.

Schon am Eingang durchdringendes Gezirp: Ein Heimchen in einem Glaskasten, das sich allerdings aus Furcht vor Beobachtern in eine Papprolle zurückgezogen hat. Die hohen Töne erzeugt es mit seinen Flügeldecken, wie eine nebenstehende Tafel erläutert. Daneben die verschiedenen Kakerlaken in natura, deren größte Art natürlich die Periplaneta americana, die amerikanische Schabe, ist. Auffälligstes Kennzeichen sind ihre glänzende dunkelbraune Farbe, ihre langen Beine (Gesamtlänge etwa 30 mm) und zwei lange Fühler, die ständig in Bewegung sind. Der schmale Körper wird fast vollständig von langen kräftigen Flügeln bedeckt.

Eine ausgestopfte kleine Hausmaus steht als Stellvertreter für ihren Kameraden, der sich zum Schlafen zurückgezogen hat. Auch die Rattenfamilie liegt eng aneinandergeschmiegt darnieder. Es läßt sich nur schwer vorstellen, daß diese possierlichen, harmlos aussehenden Tierchen, deren schwarzes Fell man gerne streicheln möchte, die meistgehaßten Tiere sind.

Seit über 5.000 Jahren besteht dieses Ressentiment und ist, genau genommen, nicht einmal bei der Ratte selbst zu suchen, sondern beim Rattenfloh, der den Pestbazillus auf die Menschen übertrug. Man wollte sie erschlagen, erdrosseln, aufspießen, zerquetschen, köpfen, erschießen oder einsperren – wirklich ausrotten konnte man die Ratte nie.

Die Hausratte Rattus rattus hat einen längeren Schwanz, als ihr Körper mißt, und bevorzugt eine trockene Umgebung, während der Schwanz der Wanderratte Rattus norvegicus kürzer als ihr Oberkörper ist und sie Feuchtigkeit und Nässe liebt und hervorragend schwimmen kann. Ratte und Maus sind die einzigen Säugetiere, die bei uns als Ungeziefer gelten, also aus hygienischen Gründen bekämpfte tierische Schädlinge sind. Der Ekel, der Menschen etwa beim Anblick einer an Müll nagenden Ratte befällt, ist als eine Art Detektor zu verstehen. Er ist eine von Generation zu Generation weitergegebene Warnung vor Verschmutzung und hat zur Folge, daß wir uns von Ungeziefer und auch von verdorbenen Nahrungsmitteln distanzieren. Nichtsdestotrotz schätzt man, daß es heute in großen Städten ebenso viele Ratten wie Menschen gibt, nur leben sie heute hauptsächlich auf Müllplätzen und in der Kanalisation und nicht wie ehedem in den Straßen und Wohnungen.

Als nächstes der Mehlkäfer, besser bekannt seine Larve, die als Mehlwurm ihr Unwesen in Mehlvorräten treibt. Der Käfer selbst ist gar nicht ekelhaft, sondern ein properes Kerlchen von etwa 15 Millimeter mit fast ovaler Körperform und brauner Färbung. Die Familie der Speckkäfer, die sich von trockenen tierischen Stoffen wie Fellen, Federn und Häuten ernähren, ist in der Ausstellung durch den Dornspeckkäfer vertreten. Ihre Vorliebe für Tierkadaver machen sich Museen und Tierpräparatoren zunutze, da der kleine, runde Käfer Tierskelette säuberlichst von Fleischresten befreit.

Und woher kommt der Name „Bücherwurm“? Eigentlich ist der Bücherwurm gar kein Wurm, sondern die Larve eines Käfers, der nach der Lieblingsbeschäftigung seiner Larve benannt wurde. Sie frißt sich durch Möbel aus Laub- und Nadelholz sozusagen in die Freiheit und verschmäht auch das ein oder andere zu feucht gelagerte literarische Werk nicht.

Neben lebenden Ausstellungsstücken finden sich Tafeln, die die Geschichte der Schädlingskunde erläutern: Mit Aufkommen von Vorratslagern im alten Ägypten konnten Insekten neue Lebensräume finden und wurden zu „Schädlingen“.

Durch Aristoteles erhielten sie erstmalig eine Systematisierung, die bis zum heutigen Tag eine flexible ist, da die ständig neuen Produkte neuen „Schädlingen“ Lebensraum bieten. Hinzu kommt, daß nur etwa die Hälfte der in Mitteleuropa lebenden Mitesser schon immer hier heimisch war und sich durch Importe immer neue Arten zu den heimischen hinzugesellen. Ihre heute noch gültige binäre Nomenklatur (lateinischer Gattungs- und Artname) bekamen die Insekten 1735 von Carl von Linné.

So bewegt man sich von einer Stellwand zur nächsten, und trotz Zeichnungen und Graphiken und immer wieder lebender Objekte steht der spannende Inhalt der etwas lahmen, schülerhaften Präsentationsform entgegen. Vielleicht liegt es ja daran, daß ein wirklicher Durchbruch in der Bekämpfung der heimlichen Untermieter nicht in Sicht ist.

Ein Vergleich: Die Schädlingsbekämpfung und die Beschäftigung mit dem Mond sind etwa gleich alt. Während man erkannte, daß der Mond selbst nicht leuchtet, man weiß, daß er 400.000 Kilometer von der Erde entfernt ist und seit 1969 sogar auf ihm herumspazieren kann, hat sich die Ungezieferbekämpfung lediglich in der Art und Weise, nicht aber in der Effizienz weiterentwickelt. Zwar haben wir heute „Meister Propper“ und auch den „General“, die ein einwandfreies hygienisches Umfeld garantieren, doch halten sie Motten nicht von Armani-Sakkos fern. Auch gezieltere Maßnahmen wie magische Formeln, Mausefallen oder DDT lassen den Atavismus unversehrt.

Der Phantasie waren zu keiner Zeit Grenzen gesetzt, und gerechterweise muß erwähnt werden, daß der eine oder andere Erfolg im Verlauf der Jahrhunderte zu verzeichnen ist. Wilhelm Buschs Onkel Fritze etwa hatte mit seiner Hauruckmethode des radikalen Totschlags der Krabbeltiere, die ihm Max und Moritz ins Bett setzten, letztlich mehr Erfolg als Bischof Benedict von Montferrand: 1479 bestellte er Engerlinge, die große Verwüstungen anrichtete, vor seinen bischöflichen Richterstuhl. Als sie seiner Vorladung nicht Folge leisteten, sah er sich gezwungen, die Insekten als letzte drastische Maßnahme zu exkommunizieren.

Nach einiger Zeit schwächte sich die Plage naturgemäß ab, die Kirche sah sich bestätigt, und die Wirksamkeit dieser Insektenvernichtungsmethode wurde nicht in Frage gestellt.

In Beichtstühlen, Betbänken und Madonnenstatuen hauste indes bereits eine neue exkommunikationsresistente Spezies: der Holzwurm.

„Heimliche Untermieter“, Naturkundemuseum Coburg, vom 23.2. bis 1.6.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen