: Frankreich bekennt sich zu Ausländern
Die Proteste gegen Teile des neuen Gesetzentwurfs zur Migration haben das ganze Land erfaßt. Nach Tausenden von Selbstanzeigen gehen die Unterzeichner heute demonstrieren ■ Aus Paris Dorothea Hahn
Wie Telefonbücher lesen sich die Innenseiten einiger liberaler französischer Tageszeitungen in diesen Tagen. Unter Zwischenüberschriften wie „Übersetzer“, „Mitarbeiter der Arbeitsämter in der Normandie“ und „die Betreiber von Kinosälen“ veröffentlichen sie ganze Spalten von Vor- und Nachnamen. Sie alle sprechen sich gegen den ersten Artikel des Ausländergesetzes aus, das am kommenden Dienstag in zweiter Lesung in der Nationalversammlung verhandelt wird. Eineinhalb Wochen nach Beginn der Aktion wollen Tausende von Unterzeichnern in Paris demonstrieren. Mit einem Koffer in der Hand wollen sie zwischen Ostbahnhof und Polizeipräsidium zeigen, daß Frankreich schon immer ein Immigrationsland gewesen ist.
Die Aktion hatte ganz klein als Selbstanzeige von 59 jungen Filmemachern begonnen. Zwei Tage nach dem rechtsextremen Wahlsieg von Vitrolles schrieben sie in ihrer öffentlichen Erklärung, daß sie ausländische Freunde ohne Aufenthaltspapiere beherbergt hätten und es wieder tun würden, ganz egal, was die Gesetze dazu sagten. Ihre Landsleute riefen sie dazu auf, der Aktion des zivilen Ungehorsams zu folgen. Der umstrittene Artikel des Debré-Entwurfs verlangt, daß französische Gastgeber dem Rathaus die Abreise ihrer ausländischen Besucher melden müssen.
Der Erfolg der Aktion war verblüffend. Binnen weniger Tage erfaßte die antigesetzliche Bekennerwut das ganze Land. Zuerst unterschrieben die Schauspieler, die Schriftsteller, die Theatermacher und die Musiker. Dann folgten die Wissenschaftler, die Forscher und die „Franzosen, die Juden beherbergt haben“. Seit dem vergangenen Wochenende eröffnen immer weitere Kreise eigene Listen: Die Kunden irgendeines Cafés auf dem flachen Lande, die Mitarbeiter einer Behörde, die Modemacher, die Schwulen und Lesben oder – was in den traditionell konservativen französischen Justizkreisen den Ruf nach disziplinarischen Konsequenzen auslöste – die Richter.
Nach mehrtägigem Abwarten schlossen sich auch die großen Oppositionsparteien, die Sozialisten und die Kommunisten, sowie die großen Gewerkschaftszentralen der Bewegung an. Das System der Petitionen blieb von Anfang an gleich: Per Fax oder Internet zeigen sich die Unterzeichner selbst an. Die entsprechenden Adressen erscheinen seit mehreren Tagen in der liberalen Presse. Heute werden sich die Protestierenden erstmals persönlich auf der Straße zeigen.
Die Wucht der Bewegung zwang die Regierung schließlich dazu, einen Rückzieher zu machen. Ihm sei egal, wie es technisch funktioniere, erklärte Premierminister Alain Juppé vor dem Parlament, Hauptsache die Kontrolle am entrée und sortie nach Frankreich stimme. Daraufhin brachten seine Parteifreunde eine „Verbesserung“ des Debré-Entwurfs ein. Danach sollen künftig nicht mehr die Gastgeber die Abreise ihrer ausländischen Freunde melden, sondern die Ausländer selbst.
Außerdem soll das gesamte Verfahren der „Beherbergungszertifikate“, das in weniger weit entwickelter Form bereits seit 1982 in Frankreich in Kraft ist, künftig von den Bürgermeistern an die Präfekten übergeben werden, die ihrerseits über Polizeikräfte zu diesem Behuf verfügen sollen.
Die rechtsextreme Front National, deren politisches Auftrumpfen für viele Unterzeichner das Hauptmotiv für ihr Engagement ist, hat sich bislang weitgehend aus der Debatte herausgehalten. Sie beschränkte sich darauf, ihre alte Forderung nach einem Referendum über die Immigration in die Debatte zu werfen.
Die Hilfsorganisation „Cimade“ hat in einer eigenen Untersuchung jedoch festgestellt, daß schon jetzt allerlei Schindluder mit dem Verfahren getrieben wird. So gibt es Dutzende von Bürgermeistern, die grundsätzlich keine „Beherbergungszertifikate“ ausstellen. Das ist zwar ungesetzlich, aber die Antragsteller ziehen es meist vor, ihre ausländischen Freunde auf anderen Wegen ins Land zu holen, als ihren Bürgermeister in ein – langwieriges und kaum erfolgversprechendes – Gerichtsverfahren zu zwingen.
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