: Streicheleinheiten vor Steuergipfel
SPD formuliert ihre Bedingungen für das Treffen mit der Regierung am Montag: Die Wirksamkeit der Steuerreform für den Arbeitsmarkt ist wichtiger als deren soziale Gerechtigkeit ■ Aus Bonn Markus Franz
Ungewohnt sanftmütig gehen CDU und SPD in die gemeinsamen Verhandlungen über die Steuerreform, die am Montag beginnen. Wolfgang Schäuble spricht von einer „großen Koalition der Vernunft“. Gerhard Schröder lobt eine „beachtliche Wende der Politik“. Und als Zeichen des guten Willens der Koalition finden die Gespräche in der Bonner Vertretung des SPD-regierten Landes Nordrhein-Westfalen statt.
Von beiden Seiten ist zu hören, daß die Verhandlungen auf keinen Fall scheitern dürfen. Dazu ist die Arbeitsmarktsituation mit rund 4,7 Millionen Arbeitslosen zu ernst. Die SPD stellt sich gar auf den Standpunkt: Wichtiger als der Gerechtigkeitsgesichtspunkt ist die Wirksamkeit der Steuerreform für den Arbeitsmarkt.
Anders als die Koalition, die von Kohl, Schäuble, Bohl, Waigel, Glos, Gerhard und Solms vertreten wird, geht die SPD (Lafontaine, Scharping, Voscherau, NRW-Finanzminister Schleußer, Ingrid Matthäus-Maier) mit Bedingungen in die Verhandlungen. Die erste hat die Koalition bereits vorab erfüllt. Sie ist bereit, Teile der Steuerreform schon 1998 in Kraft treten zu lassen. Lafontaine hatte gedroht, andernfalls die gesamte Reform zum Scheitern zu bringen. Die SPD fordert zwar immer noch, daß bereits die ganze Steuerreform 1998 in Kraft treten soll, doch macht sie das nicht zur unumstößlichen Bedingung.
Die Koalition will vor allem die unternehmensbezogenen Steuern und den Solidaritätszuschlag schon ab 1. Januar 1998 senken. Diese Steuersenkungen sollen vollständig innerhalb der Unternehmen gegenfinanziert werden. Die Koalition verspricht sich aber von der nominalen Senkung der Steuern einen Anreiz für neue Unternehmensgründungen. Die SPD teilt diese Vorstellungen.
Darüber hinaus will die SPD schon 1998 die Kaufkraft der Arbeitnehmer stärken, um das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung zu erhöhen. Deshalb soll der Grundfreibetrag auf 14.000 Mark erhöht (Koalition 13.000) und der Eingangssteuersatz auf unter 20 Prozent gesenkt werden. Die höheren Einkünfte, so die SPD, sollten weiter wie bisher besteuert werden. Den „Rolex-Tarif“ der Koalition, der die Vermögenden überproportional entlaste, werde die SPD nicht mitmachen.
Ultimativ fordert die SPD: keine Mehrwertsteuererhöhung zur Finanzierung der Steuerreform, weil dies eine Mehrbelastung von 300 bis 400 Mark pro Jahr hervorrufen würde, und keine höhere Besteuerung der Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Schichtarbeit. „Dies ist mit der SPD nicht zu machen“, legte sich Oskar Lafontaine fest. Zudem fordert die SPD definitiv eine Senkung der Lohnnebenkosten schon 1998. So sollen die Rentenkassen um versicherungsfremde Leistungen in Höhe von 14,2 Milliarden Mark entlastet werden. Auch dafür, so heißt es, soll nicht die Mehrwertsteuer erhöht werden. Die SPD setzt vielmehr auf eine Ökosteuer.
Beweglich scheint die SPD dagegen in der Frage der von der Koalition geplanten Besteuerung der Renten und der Lebensversicherungen zu sein. Dies ist auch bei der Koalition umstritten. Bei der Kilometerpauschale hat sich die SPD noch nicht festgelegt. Insgesamt sollen durch die Kürzung der Arbeitnehmer- und der Kilometerpauschale acht Milliarden Mark mehr eingenommen werden.
Bei der Gegenfinanzierung hält sich die SPD ebenfalls bedeckt. Mindestens sechs Milliarden Mark sollen dadurch hereinkommen, daß das Wirtschaftswachstum infolge der Steuerreform wächst. Eine Steigerung des Wirtschaftswachstums um ein Prozent, die von der SPD für möglich gehalten wird, würde sogar zwölf Milliarden zusätzliche Steuereinnahmen bringen. Im übrigen verweist die SPD auf die Liste des nordrhein-westfälischen Finanzministers Schleußer, derzufolge 50 bis 60 Milliarden Mark durch das Schließen von Steuerschlupflöchern und Abschreibungsmöglichkeiten eingenommen werden könnten.
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