: Windstau unterm Doppel-Deckel
Brüssel, Bonn und Kiel blasen zum Sturm auf den Öko-Strom: Die schleswig-holsteinischen Windmüller sehen sich durch drohende Gesetzesänderungen dem Ruin nahe ■ Von Marco Carini
Voll im Wind. Nirgendwo in der Bundesrepublik wurde der Ausbau der Windenergie in den vergangenen Jahren so zielstrebig vorangetrieben wie im windreichen Küstenland Schleswig-Holstein. Mit rund 540 Megawatt Leistung tragen die 1300 Rotoren, die sich im nördlichsten Bundesland drehen, ein Drittel zur deutschen Windstromproduktion bei. Und die liegt nur noch wenige Megawatt unter der Anlagenkapazität des Wind-Weltmeisters USA.
Doch nun blasen Brüssel, Bonn und Kiel nach Meinung vieler Windmüller zum Sturm auf den Öko-Strom. Subventionen sollen gekürzt und die Energiekonzerne durch eine Abnahme-Obergrenze für den Windstrom „entlastet“ werden. Zudem behindert ein schärferes Planungsrecht gegen den „Windkraft-Wildwuchs“ in Schleswig-Holstein die ungehemmte Entwicklung der regenerativen Energie.
„Total verunsichert durch die anhaltenden Dis- kussionen“ fühlt sich Nico Axelsen. Der Landwirt, der einen Hof zwischen Flensburg und Bredstedt bewirtschaftet, ist nebenbei als Windmüller tätig. Zusammen mit seinem Schwager hat er in den vergangenen fünf Jahren neun Windkraftanlagen auf seinem „eigenen Grund und Boden aufgestellt“. Doch heute, so Axelsen, würde er „nicht mehr in neue Anlagen investieren“.
Besonders bedroht sehen sich die schleswig-holsteinischen Windmüller durch Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) und große Teile der Bonner CDU/CSU-Fraktion, die die sogenannte „Einspeisevergütung“ für Windkraftbetreiber drastisch zusammenstreichen wollen. 1990 hatte die Bundesregierung die Energiekonzerne dazu verpflichtet, den Windmüllern einen Festpreis von mehr als 17 Pfennigen für jede Kilowattstunde zu zahlen, die ins Stromnetz fließt.
Über diese angebliche „Wettbewerbsverzerrung“ beschwerten sich die führenden deutschen Stromkonzerne, darunter auch die Preussen Elektra (Preag) und die schleswig-holsteinische Schleswag, bei der Europäischen Kommission. Daraufhin setzte der EU-Wettbewerbskommissar van Miert die Bundesregierung unter Druck, sie solle die Abnahmepauschale zusammenstreichen.
Inzwischen haben Rexrodt und Gunnar Uldall, der energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, eine Reduzierung der Einspeisevergütung auf rund 11 bis 14 Pfennige ins Gespräch gebracht. Ihr Argument: Durch die fortschreitende technische Entwicklung sei die Stromproduktion per Wind in den vergangenen Jahren kostengünstiger geworden, die Einspeisevergütung deshalb zu hoch.
Der Bundesverband WindEnergie (BWE) kommt allerdings zu einer völlig anderen Berechnung. BWE-Sprecher Ralf Bischof warnt: „Die Windkraft-nutzung ist in höchster Gefahr.“ Schon bei einer Absenkung der Vergütung auf 16 Pfennige verkleinere sich die Zahl der profitablen Anlagen auf 37 Prozent. Bei einer Reduzierung um einen weiteren Pfennig könnten gar nur noch neun Prozent der Windspargel zumindest kostendeckend arbeiten.
Nur Windmühlen, die unmittelbar an der Küste stehen, hätten dann noch eine Chance. Diese Berechnungen stützt auch ein vom Wirtschaftsverband Windkraftwerke (WWW) in Auftrag gegebenes Gutachten. Da die norddeutschen Küsten in den vergangenen Jahren weitgehend mit Windkraftwerken zugebaut wurden, sind fast nur noch Aufstellplätze im Binnenland zu vergeben, wo der Wind weniger kräftig weht.
Die Energieerzeugungskosten für die Windmüller liegen hier aber laut WWW-Gutachten zwischen 15 und 21 Pfennigen pro Kilowattstunde. „Wer die Einspeisungspauschale absenkt, treibt die mittelständischen Wind-Unternehmer in den Ruin“, warnt deshalb WWW-Chef Wolfgang von Geldern. Auch Schleswig-Holsteins Energieminister Claus Möller (SPD) warnt vor einem Vergütungskahlschlag: „Eine pauschale Absenkung bedeutet das Aus für die Windenergienutzung im Binnenland.“ Doch probt auch der windfreundliche Sozialdemokrat bereits den geordneten Rückzug. „Bei neuen Großanlagen“ in windreichen Küstenlagen könne „über eine maßvolle Absenkung der Einspeisevergütung nachgedacht werden“, räumt der Energieminister inzwischen ein. Nach der ersten Lesung zur Novelle des Stromeinspei-sungsgesetzes im Bundestag Ende Januar glaubt der Minister allerdings auch eine moderatere Linie der Bonner Koalition zu erkennen: „Die Horrorzahlen von 11 bis 13 Pfen-nigen sind vom Tisch.“
Nicht vom Tisch ist hingegen die Initiative Möllers, die Abnahmeverpflichtung für teuren Windstrom durch die Energiekonzerne auf fünf Prozent ihrer jeweiligen Gesamt-Strommenge zu begrenzen. Der Möllersche Abnahme-Deckel ist eine „Lex Schleswag“. Die Schleswag kommt mittlerweile auf einen Windstromanteil von über zehn Prozent, den sie nach dem 17-Pfennig-Tarif der Strom- einspeisungs-Richtlinien vergüten muß.
Damit der Energiekonzern den norddeutschen Windenergie-Ausbau nicht im Alleingang fördern und die Strompreise deshalb erhöhen muß, will Möller auch die Preag zur Kasse bitten. Der Strom-„Vorlieferant“ der Schleswag, die keine eigenen Großkraftwerke besitzt, soll jede Kilowattstunde Windstrom bezahlen, die das angedachte Fünf-Prozent-Limit der Schleswag sprengt. Da jedoch auch die Preag nicht mehr als fünf Prozent ihres Gesamtstroms nach der Einspeisevergütung bezahlen soll, befürchten Windmüller wie Nico Axelsen, daß „es bald keine Abnahmegarantie mehr für Windenergie“ gibt. Der norddeutsche Windpionier befindet sich dabei in guter Gesellschaft. Auch die Niedersächsische Staatskanzlei warnt davor, daß „der schleswig-holsteinische Weg der fünfprozentigen Deckelung spätestens 1998/1999 zu einem Ausbaustopp der Windenergienutzung in Norddeutschland führen“ werde.
Der Kieler Energieminister Claus Möller macht hingegen eine andere Rechnung auf: „Die Fünf-Prozent-Grenze für die Preag ist so hoch, daß der zügige Ausbau der Windenergie für die kommen-den Jahre auf keinen Fall gefährdet ist.“ Doch die unterschiedlichen Rechen-exempel um den Möller-schen Doppel-Deckel verunsichern die Windmüller immens. „Wir wissen nicht, wem wir nun glauben sollen“, betont Nico Axelsen. Die Folge: Die Investitionsbereitschaft unter den Windmüllern sinkt rapide.
Doch damit nicht genug: Um den Wildwuchs der Rotoren einzugrenzen, hat die schleswig-holsteinische Landesregierung das Genehmigungsrecht der Gemeinden gestutzt. Bauämter dürfen neuen Windrädern künftig nur noch zustimmen, wenn der Standort als Windenergie-Eignungsraum in einem entsprechenden Regionalplan ausgewiesen ist. Doch von diesen Plänen ist bisher nur ein einziger – der für den Kreis Nordfriesland – fertig.
Möller hält „das unsinnige Gerede“ von einem Baustopp für Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein jedoch für „viel Wind um nichts“. Allein in Dithmarschen sei die Errichtung von 340 Megawatt Windkraft bereits genehmigt und noch im Februar werde entschieden, „welche Flächen im Kreis Schleswig-Holstein für die Windenergienutzung freigegeben werden können“.
Dann darf auch Landwirt Nico Axelsen eventuell weitere Windspargel errichten. Doch bevor „die gesetzlichen Rahmenbedingungen eindeutig und windkraftfreundlich“ geregelt sind, will der Bredtstedter Bauer auf seinem Hof „nicht weiter in die Windkraft investieren“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen