piwik no script img

Alles geht – oder nichts

Die neue 200- und 400-m-Hallenmeisterin Grit Breuer und ihr Trainer Thomas Springstein sind weiter auf der Suche nach einer besseren Zukunft  ■ Aus Dortmund Peter Unfried

Ende März wird Grit Breuer sich in Richtung Namibia aufmachen, zu Trainingszwecken, und das stimmt ihren Trainer schon jetzt nachdenklich. „Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll“, sagt er. Thomas Springstein (38) ist arbeitslos, seit ihn Breuers vormaliger Verein LT 85 Hannover im Oktober gekündigt hatte. Seither hat er zweimal mit seiner Athletin auf Lanzarote trainiert. Jedesmal meldete er sich beim Arbeitsamt brav ab. Jetzt, sagt er, „ist mein Urlaub aufgebraucht.“ Daß er dennoch mitreisen wird, ist aber wahrscheinlicher als daß ihm das Arbeitsamt einen neuen Job vermittelt. Zumindest einen als Leichtathletiktrainer.

Das liegt zum einen womöglich an seiner Vergangenheit als Macher der Sprint-Weltmeisterin Katrin Krabbe und der 400 m-Vizeweltmeisterin Breuer – und der nachfolgenden Dopingaffäre und den Sperren wegen Medikamentenmißbrauchs. Zum anderen, sagt Springstein, „glaube ich nicht, daß die meisten Klubs noch einen Trainer finanzieren können.“ Hannover hatte es versucht, nachdem Breuer dem Verein klar gemacht hatte: mit Springstein oder gar nicht. Schließlich war das Geld alle, und der Vorsitzende Klaus Künne zog den Verein aus dem Leistungssport zurück.

Breuer ist inzwischen von Rudi Thiel zum OSC Berlin geholt worden. Ein Jahr war sie im Trikot des LT 85 gelaufen, hatte diverse Titel geholt, war beteiligt am Zustandekommen des Ausrüstervertrags des Klubs, hat aber „bis heute keine Prämie bekommen, nicht einen Pfennig.“

Stattdessen versuchte Künne bei immer klammer werdenden Finanzen, mit der Athletin Breuer Geschäfte für den Klub zu machen. Eine Leichtathletin von internationaler Klasse, doch mit Vergangenheit und ohne großen Titel ist aber nur begrenzt zu vermarkten. Irgendwann ging dann gar nichts mehr in Hannover, eilig wurden noch Sportler an andere Klubs „verhökert“ (Breuer). Sie bekam ziemlich als Letzte mit, auch sie sei Quelle Fürth zum Kauf angeboten worden.

Am Freitag traf man sich, um den Verein womöglich ganz dicht zu machen. Breuer ging hin, statt sich in Dortmund auf ihre Läufe bei der deutschen Hallen-Meisterschaft zu konzentrieren. Als es spannend wurde, stand sie auf und „ließ richtig ab“. Springstein sagt, es sei im wesentlichen ihr zu verdanken ist, daß der Vorstand zwar entlastet wurde, der Verein aber weiter existiert. Wäre er aufgelöst worden, ihre Forderungen wären obsolet. So wird sie sich am Mittwoch mit Künne treffen, um sich womöglich doch noch außergerichtlich zu einigen. Neben den fehlenden Prämien soll Künne eine selbstschuldnerische Bürgschaft unterschrieben haben, die ihn auch zu persönlichen Zahlungen verpflichtet.

In einem offenen Brief hat DLV-Präsident Helmut Digel in Dortmund das „anything goes“ der Branche kritisiert, in der jeder Dahergelaufene sich verhalte, als gehöre sie ihm, und man versuche, „Partner hinterlistig auszutricksen“. Die Realität nennt Digel „Schmarotzer-Kapitalismus“.

Der Ärger, die Zukunftsängste, vor allem „die Art und Weise, wie das ablief“, haben Grit Breuer mitgenommen. Die Vorbereitung litt. Dennoch schaffte sie gestern nachmittag Erstaunliches: Binnen 25 Minuten gewann sie zunächst den Hallentitel über 400 m (52, 04 Sekunden), dann ging sie zehn Minuten aus der Halle, sagte „okay, ich probier's“ – und gewann auch noch die 200 m (23,32).

Tatsächlich hat die Wirtschaftskraft der Branche enge Grenzen. Was Grit Breuer (24) demnächst brauchen könnte, wäre ein richtig großer Erfolg. Olympia hätte ihn bringen sollen, zumindest den Sprung unter die 50-Sekunden- Grenze. Doch nach dem Semifinale war sie „irgendwo zerbrochen“ (Springstein) und trudelte im Finale als Letzte aus. Die Staffelbronze war schön – aber nicht genug. Trotz Manager Roland Maders Bemühungen: das Training in Lanzarote hat sie selbst bezahlt.

Jetzt sollen die 50 Sekunden unterboten werden, um dorthin zurück zu kehren, wo die ganz Wenigen der Weltklasse sind. In Dortmund ließ Springstein Breuer die 200 m auch laufen, um sie auf dieser Strecke wieder in 22er-Zeiten zu stabilisieren, eine Grundvoraussetzung für das anvisierte Ziel.

Ohne Springstein keine Grit, sagt Breuer – die Suche nach der Doppel-Perspektive führte das Paar von Neubrandenburg über Schwerin und Hannover nun in die Hauptstadt. Rudi Thiel sagt, er wolle etwas möglich machen, damit auch Springstein in Berlin Beschäftigung finde. Jetzt sind die Etats dicht, die Stellen vergeben, „im Sommer“ solle sich etwas tun. Solange er nichts hat, bleiben beide in Hannover.

Bei der Hallen-WM in Paris wird im März erstmals richtig Geld ausgeschüttet, es gibt 50.000 Mark für eine Goldmedaille. Breuer hält die Jahresweltbestleistung (51,50 Sekunden), ist aber vorsichtig. „Abwarten, wer noch dazukommt“, sagt sie. „Mir geht langsam das Geld aus“, sagt Thomas Springstein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen